Die Schiefheit der Stirn und die Rundung über den Schleimhöhlen zeigt mehr Jma- gination als Forschsinn -- der ziemlich tiefe Winkel bey der Nasenwurzel Verstand -- die Nasenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhöhung mitten auf der Nase; machen in ihrer Rich- tung mit der Stirn überhaupt einen sehr stumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhöhlen, beynahe einen rechten Winkel. Auch die Erhebung der Nasentheile des Oberkiefers zeigt geräumige, innliegende Höhlen an. Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, ist stark genug; besonders merklich der hintere Winkel desselben und der aufsteigende Theil der zween Fortsätze. Ohne die Anmaßung, den Ausdruck von diesem allen zu bestimmen -- glaub' ich dennoch überhaupt Ausdruck von Festig- keit darinne wahrzunehmen. Dieser zeigt sich auch besonders in dem unten kleiner gezeichneten Profile, welches nach der geraden Lage des menschlichen Kopfes am lebenden Körper gezeich- net ist. -- Vordringende, harte, eiserne Festigkeit ist's nicht, was der Schädel bezeichnet. Al- les ist mittelmäßig. Physiologische Kraft mehr, als Energie der innern Geisteskraft. Nicht herkulische! gesunde Kraft -- dieß zeigen besonders die Vollständigkeit, die Festigkeit und Lage der Zähne! die Lage -- die Vorgewölbtheit derselben -- gewiß nicht herkulische Kraft! aber wi- tzige Geschwätzigkeit? -- wenigstens auf mich macht sie diesen Eindruck.
Die Kleinheit des Kinns (das freylich sich im bloßen Schädel, weil es in der Natur am meisten mit Fleisch bekleidet ist, am meisten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig vordringende, ganz männliche Kraft.
Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifsinn viel weiter, als von weiblicher Weichlichkeit entfernt.
Der untere Schädel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin- gend, weniger eingebogen, über den Schleimhöhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verstand des obern.
Bemerkt
Phys. Fragm.IIVersuch. U
XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
Die Schiefheit der Stirn und die Rundung uͤber den Schleimhoͤhlen zeigt mehr Jma- gination als Forſchſinn — der ziemlich tiefe Winkel bey der Naſenwurzel Verſtand — die Naſenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhoͤhung mitten auf der Naſe; machen in ihrer Rich- tung mit der Stirn uͤberhaupt einen ſehr ſtumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhoͤhlen, beynahe einen rechten Winkel. Auch die Erhebung der Naſentheile des Oberkiefers zeigt geraͤumige, innliegende Hoͤhlen an. Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, iſt ſtark genug; beſonders merklich der hintere Winkel deſſelben und der aufſteigende Theil der zween Fortſaͤtze. Ohne die Anmaßung, den Ausdruck von dieſem allen zu beſtimmen — glaub’ ich dennoch uͤberhaupt Ausdruck von Feſtig- keit darinne wahrzunehmen. Dieſer zeigt ſich auch beſonders in dem unten kleiner gezeichneten Profile, welches nach der geraden Lage des menſchlichen Kopfes am lebenden Koͤrper gezeich- net iſt. — Vordringende, harte, eiſerne Feſtigkeit iſt’s nicht, was der Schaͤdel bezeichnet. Al- les iſt mittelmaͤßig. Phyſiologiſche Kraft mehr, als Energie der innern Geiſteskraft. Nicht herkuliſche! geſunde Kraft — dieß zeigen beſonders die Vollſtaͤndigkeit, die Feſtigkeit und Lage der Zaͤhne! die Lage — die Vorgewoͤlbtheit derſelben — gewiß nicht herkuliſche Kraft! aber wi- tzige Geſchwaͤtzigkeit? — wenigſtens auf mich macht ſie dieſen Eindruck.
Die Kleinheit des Kinns (das freylich ſich im bloßen Schaͤdel, weil es in der Natur am meiſten mit Fleiſch bekleidet iſt, am meiſten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig vordringende, ganz maͤnnliche Kraft.
Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifſinn viel weiter, als von weiblicher Weichlichkeit entfernt.
Der untere Schaͤdel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin- gend, weniger eingebogen, uͤber den Schleimhoͤhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verſtand des obern.
Bemerkt
Phyſ. Fragm.IIVerſuch. U
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XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
Die Schiefheit der Stirn und die Rundung uͤber den Schleimhoͤhlen zeigt mehr Jma-
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Naſenbeine haben Anlage zu einer kleinen Erhoͤhung mitten auf der Naſe; machen in ihrer Rich-
tung mit der Stirn uͤberhaupt einen ſehr ſtumpfen Winkel; bey ihrer Vereinigung mit dem
Stirnbeine aber, wegen der hervorragenden Schleimhoͤhlen, beynahe einen rechten Winkel.
Auch die Erhebung der Naſentheile des Oberkiefers zeigt geraͤumige, innliegende Hoͤhlen an.
Der Unterkiefer, das kleinliche Kinn ausgenommen, iſt ſtark genug; beſonders merklich der
hintere Winkel deſſelben und der aufſteigende Theil der zween Fortſaͤtze. Ohne die Anmaßung,
den Ausdruck von dieſem allen zu beſtimmen — glaub’ ich dennoch uͤberhaupt Ausdruck von Feſtig-
keit darinne wahrzunehmen. Dieſer zeigt ſich auch beſonders in dem unten kleiner gezeichneten
Profile, welches nach der geraden Lage des menſchlichen Kopfes am lebenden Koͤrper gezeich-
net iſt. — Vordringende, harte, eiſerne Feſtigkeit iſt’s nicht, was der Schaͤdel bezeichnet. Al-
les iſt mittelmaͤßig. Phyſiologiſche Kraft mehr, als Energie der innern Geiſteskraft. Nicht
herkuliſche! geſunde Kraft — dieß zeigen beſonders die Vollſtaͤndigkeit, die Feſtigkeit und Lage
der Zaͤhne! die Lage — die Vorgewoͤlbtheit derſelben — gewiß nicht herkuliſche Kraft! aber wi-
tzige Geſchwaͤtzigkeit? — wenigſtens auf mich macht ſie dieſen Eindruck.
Die Kleinheit des Kinns (das freylich ſich im bloßen Schaͤdel, weil es in der Natur
am meiſten mit Fleiſch bekleidet iſt, am meiſten verkleinert) der Umriß des Kinns zeigt wenig
vordringende, ganz maͤnnliche Kraft.
Der zirkelbogige Umriß des Hinterhaupts von trotzigem Steifſinn viel weiter, als von
weiblicher Weichlichkeit entfernt.
Der untere Schaͤdel, an der Stirne weniger wahr, als der obere, weniger vordrin-
gend, weniger eingebogen, uͤber den Schleimhoͤhlen, zeigt nicht den freyen, offnen Verſtand des
obern.
Bemerkt
Phyſ. Fragm. II Verſuch. U
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/215>, abgerufen am 03.07.2024.
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