Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Fragment. Menschenschädel.
welches ist unter diesen beyden der boshafte Verräther -- oder der unschuldig Verrathene? -- wer-
det Jhr lang anstehen? Jch zweifle.

Freylich unter zween bestimmten vorliegenden Köpfen, deren Verschiedenheit so auffal-
lend ist -- und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei-
ligen taxirt wird -- ist die Entscheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, soll darum
noch nicht sagen: "er könne den Spitzbuben und den Heiligen am Schädel unterscheiden."

Jch verspar' es auf den letzten Theil dieses Werkes, auf einigen Blättern eine Menge
Schädel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen -- und dann urtheilen zu
lassen; itzt nur einige wenige --

Und zum Beschlusse dieses Kapitels -- wer weiß nicht die Anekdote aus der per-
sischen Geschichte: daß man nämlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schä-
del der weichlichen Meder von den Schädeln der mannhaften Perser habe unterscheiden
können. Mir deucht, als wenn ich eben dasselbe von den Schweizern und Burgundern hätte
sagen hören. Es beweist dieses wenigstens, man gebe zu: "daß man noch an bloßen Schädeln
"Unterschied der Lebensart und Stärke -- Unterschied der Nationen sehen könne." --

V.
Erste Tafel.
Derselbe Schädel zweymal auf Einem Blatte.

Schädel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefsinn besaß -- Kein Trotzkopf!
kein Weichling! -- aber auch kein fein empfindender Mann! vernünftig und geschwätzig! --
beynah' alles dieses drückt sich mit ungleicher Bestimmtheit in dem bloßen Schädel aus.

Die Lage des obern ist die natürliche horizontale, ohn' alle Unterstützung. Man denke
sich die Gestalt in bestimmte Winkel, und übe sich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird
sicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.

Die

XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
welches iſt unter dieſen beyden der boshafte Verraͤther — oder der unſchuldig Verrathene? — wer-
det Jhr lang anſtehen? Jch zweifle.

Freylich unter zween beſtimmten vorliegenden Koͤpfen, deren Verſchiedenheit ſo auffal-
lend iſt — und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei-
ligen taxirt wird — iſt die Entſcheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, ſoll darum
noch nicht ſagen: „er koͤnne den Spitzbuben und den Heiligen am Schaͤdel unterſcheiden.“

Jch verſpar’ es auf den letzten Theil dieſes Werkes, auf einigen Blaͤttern eine Menge
Schaͤdel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen — und dann urtheilen zu
laſſen; itzt nur einige wenige —

Und zum Beſchluſſe dieſes Kapitels — wer weiß nicht die Anekdote aus der per-
ſiſchen Geſchichte: daß man naͤmlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schaͤ-
del der weichlichen Meder von den Schaͤdeln der mannhaften Perſer habe unterſcheiden
koͤnnen. Mir deucht, als wenn ich eben daſſelbe von den Schweizern und Burgundern haͤtte
ſagen hoͤren. Es beweiſt dieſes wenigſtens, man gebe zu: „daß man noch an bloßen Schaͤdeln
„Unterſchied der Lebensart und Staͤrke — Unterſchied der Nationen ſehen koͤnne.“ —

V.
Erſte Tafel.
Derſelbe Schaͤdel zweymal auf Einem Blatte.

Schaͤdel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefſinn beſaß — Kein Trotzkopf!
kein Weichling! — aber auch kein fein empfindender Mann! vernuͤnftig und geſchwaͤtzig! —
beynah’ alles dieſes druͤckt ſich mit ungleicher Beſtimmtheit in dem bloßen Schaͤdel aus.

Die Lage des obern iſt die natuͤrliche horizontale, ohn’ alle Unterſtuͤtzung. Man denke
ſich die Geſtalt in beſtimmte Winkel, und uͤbe ſich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird
ſicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0212" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Fragment. Men&#x017F;chen&#x017F;cha&#x0364;del.</hi></fw><lb/>
welches i&#x017F;t unter die&#x017F;en beyden der boshafte Verra&#x0364;ther &#x2014; oder der un&#x017F;chuldig Verrathene? &#x2014; wer-<lb/>
det Jhr lang an&#x017F;tehen? Jch zweifle.</p><lb/>
            <p>Freylich unter zween be&#x017F;timmten vorliegenden Ko&#x0364;pfen, deren Ver&#x017F;chiedenheit &#x017F;o auffal-<lb/>
lend i&#x017F;t &#x2014; und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei-<lb/>
ligen taxirt wird &#x2014; i&#x017F;t die Ent&#x017F;cheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, &#x017F;oll darum<lb/>
noch nicht &#x017F;agen: &#x201E;er ko&#x0364;nne den Spitzbuben und den Heiligen am Scha&#x0364;del unter&#x017F;cheiden.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Jch ver&#x017F;par&#x2019; es auf den letzten Theil die&#x017F;es Werkes, auf einigen Bla&#x0364;ttern eine Menge<lb/>
Scha&#x0364;del genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen &#x2014; und dann urtheilen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en; itzt nur einige wenige &#x2014;</p><lb/>
            <p>Und zum Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es Kapitels &#x2014; wer weiß nicht die Anekdote aus der per-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte: daß man na&#x0364;mlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Scha&#x0364;-<lb/>
del der <hi rendition="#fr">weichlichen Meder</hi> von den Scha&#x0364;deln der <hi rendition="#fr">mannhaften Per&#x017F;er</hi> habe unter&#x017F;cheiden<lb/>
ko&#x0364;nnen. Mir deucht, als wenn ich eben da&#x017F;&#x017F;elbe von den <hi rendition="#fr">Schweizern</hi> und <hi rendition="#fr">Burgundern</hi> ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;agen ho&#x0364;ren. Es bewei&#x017F;t die&#x017F;es wenig&#x017F;tens, man gebe zu: &#x201E;daß man noch an bloßen Scha&#x0364;deln<lb/>
&#x201E;Unter&#x017F;chied der Lebensart und Sta&#x0364;rke &#x2014; Unter&#x017F;chied der Nationen &#x017F;ehen ko&#x0364;nne.&#x201C; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq">V.</hi><lb/> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Er&#x017F;te Tafel.</hi> </hi><lb/> <hi rendition="#b">Der&#x017F;elbe Scha&#x0364;del zweymal auf Einem Blatte.</hi> </head><lb/>
            <p>Scha&#x0364;del von einem Manne, der weder Genie war, noch Tief&#x017F;inn be&#x017F;&#x2014; Kein Trotzkopf!<lb/>
kein Weichling! &#x2014; aber auch kein <hi rendition="#fr">fein</hi> empfindender Mann! vernu&#x0364;nftig und ge&#x017F;chwa&#x0364;tzig! &#x2014;<lb/>
beynah&#x2019; alles die&#x017F;es dru&#x0364;ckt &#x017F;ich mit ungleicher Be&#x017F;timmtheit in dem bloßen Scha&#x0364;del aus.</p><lb/>
            <p>Die Lage des obern i&#x017F;t die natu&#x0364;rliche horizontale, ohn&#x2019; alle Unter&#x017F;tu&#x0364;tzung. Man denke<lb/>
&#x017F;ich die Ge&#x017F;talt in be&#x017F;timmte Winkel, und u&#x0364;be &#x017F;ich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird<lb/>
&#x017F;icherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0212] XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel. welches iſt unter dieſen beyden der boshafte Verraͤther — oder der unſchuldig Verrathene? — wer- det Jhr lang anſtehen? Jch zweifle. Freylich unter zween beſtimmten vorliegenden Koͤpfen, deren Verſchiedenheit ſo auffal- lend iſt — und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei- ligen taxirt wird — iſt die Entſcheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, ſoll darum noch nicht ſagen: „er koͤnne den Spitzbuben und den Heiligen am Schaͤdel unterſcheiden.“ Jch verſpar’ es auf den letzten Theil dieſes Werkes, auf einigen Blaͤttern eine Menge Schaͤdel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen — und dann urtheilen zu laſſen; itzt nur einige wenige — Und zum Beſchluſſe dieſes Kapitels — wer weiß nicht die Anekdote aus der per- ſiſchen Geſchichte: daß man naͤmlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schaͤ- del der weichlichen Meder von den Schaͤdeln der mannhaften Perſer habe unterſcheiden koͤnnen. Mir deucht, als wenn ich eben daſſelbe von den Schweizern und Burgundern haͤtte ſagen hoͤren. Es beweiſt dieſes wenigſtens, man gebe zu: „daß man noch an bloßen Schaͤdeln „Unterſchied der Lebensart und Staͤrke — Unterſchied der Nationen ſehen koͤnne.“ — V. Erſte Tafel. Derſelbe Schaͤdel zweymal auf Einem Blatte. Schaͤdel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefſinn beſaß — Kein Trotzkopf! kein Weichling! — aber auch kein fein empfindender Mann! vernuͤnftig und geſchwaͤtzig! — beynah’ alles dieſes druͤckt ſich mit ungleicher Beſtimmtheit in dem bloßen Schaͤdel aus. Die Lage des obern iſt die natuͤrliche horizontale, ohn’ alle Unterſtuͤtzung. Man denke ſich die Geſtalt in beſtimmte Winkel, und uͤbe ſich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird ſicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/212
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/212>, abgerufen am 22.11.2024.