Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.XIV. Fragment. Bildung der Knochen, besonders der Schädel. Gewiß ist eben diese natürliche Bildung so verschieden, als es nachher die Menschengesich- Der Physiognomist unterscheidet Urgestalt und Ausbildung. Unerklärbare, einzig wahre reine Prädestination. Jeder Knochen hat seine Urge- Ueberall dringen Gefäße in die Knochen, die ihnen ihre Nahrung und das Knochenmark Die Zeit, wenn diese oder jene Veränderungen mit den Knochen vorgehen, läßt sich nicht Das Alter der Leibesfrucht läßt sich noch ziemlich aus den Knochen angeben -- allein, je Große, lange und vielförmige Knochen bestehen, um ihre Verbeinerung zu beschleunigen, verwach-
XIV. Fragment. Bildung der Knochen, beſonders der Schaͤdel. Gewiß iſt eben dieſe natuͤrliche Bildung ſo verſchieden, als es nachher die Menſchengeſich- Der Phyſiognomiſt unterſcheidet Urgeſtalt und Ausbildung. Unerklaͤrbare, einzig wahre reine Praͤdeſtination. Jeder Knochen hat ſeine Urge- Ueberall dringen Gefaͤße in die Knochen, die ihnen ihre Nahrung und das Knochenmark Die Zeit, wenn dieſe oder jene Veraͤnderungen mit den Knochen vorgehen, laͤßt ſich nicht Das Alter der Leibesfrucht laͤßt ſich noch ziemlich aus den Knochen angeben — allein, je Große, lange und vielfoͤrmige Knochen beſtehen, um ihre Verbeinerung zu beſchleunigen, verwach-
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XIV. Fragment. Bildung der Knochen, beſonders der Schaͤdel.
Gewiß iſt eben dieſe natuͤrliche Bildung ſo verſchieden, als es nachher die Menſchengeſich-
ter ſind. Dieſe Verſchiedenheit — iſt Werk der Natur! Urbeſtimmung des Herrſchers und Schoͤ-
pfers aller Dinge. —
Der Phyſiognomiſt unterſcheidet Urgeſtalt und Ausbildung.
Unerklaͤrbare, einzig wahre reine Praͤdeſtination. Jeder Knochen hat ſeine Urge-
ſtalt — ſeine individuelle Geſtaltſamkeit — er kann ſich veraͤndern; veraͤndert ſich immer, aber ver-
aͤndert ſich nicht zur vollkommenen Aehnlichkeit eines Knochens, der eine ganz andere Urgeſtalt
hat. Die zufaͤlligen Veraͤnderungen der Knochen, ſo groß dieſelben ſeyn, und ſo ſehr ſie von
der Urgeſtalt abweichen — richten ſich dennoch immer nach der Beſchaffenheit dieſer individuellen
Urgeſtalt. Auch die gewaltſamſte Preſſung wird nie die Urgeſtalt ſo veraͤndern, daß ſie, wenig-
ſtens verglichen mit einem ganz andern Knochenſyſtem, welches dieſelbe gewaltſame Preſſung erlitten
haͤtte — nicht ſehr leicht von andern zu unterſcheiden waͤre. So wenig ein Mohr weiß, und ein
Pardel fleckenlos werden kann, ſo groß auch immer die zufaͤlligen Veraͤnderungen, durch welche
ſie gehen muͤſſen, ſeyn moͤgen — ſo wenig verwandelt ſich die Urgeſtalt eines Knochens in die
Urgeſtalt eines andern Knochens von demſelben Namen.
Ueberall dringen Gefaͤße in die Knochen, die ihnen ihre Nahrung und das Knochenmark
zufuͤhren. Je juͤnger die Knochen — deſto mehr dergleichen Gefaͤße, und deſto ſchwammichter
und biegſamer die Knochen — und umgekehrt.
Die Zeit, wenn dieſe oder jene Veraͤnderungen mit den Knochen vorgehen, laͤßt ſich nicht
leicht genau beſtimmen. Dieſe iſt nach der Natur des Menſchen und den zufaͤlligen Urſachen ver-
ſchieden. —
Das Alter der Leibesfrucht laͤßt ſich noch ziemlich aus den Knochen angeben — allein, je
aͤlter der Koͤrper, deſto ſchwerer dieſe Zeitbeſtimmung.
Große, lange und vielfoͤrmige Knochen beſtehen, um ihre Verbeinerung zu beſchleunigen,
und das Wachsthum zu erleichtern, anfangs aus mehrern Stuͤcken, wovon man die kleinern
Anſaͤtze heißt. Der Knochen iſt unvollkommen, ſo lange dieſe noch nicht mit dem Hauptſtuͤcke
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