Funfzehnte Tafel. Vier Kahlköpfe von hinten im Schattenrisse.
Je mehr wir die Beobachtungen des menschlichen Körpers vermannichfaltigen, von je meh- rern Seiten wir seine Umrisse und Gränzlinien betrachten, desto mehr Charakter des Geistes, der in ihm wohnet, desto mehr angebliche und bestimmbare Zeichen seiner Kraft und seiner Würk- samkeit werden wir finden.
Jch bin der Meynung: Ein Mensch von allen Seiten auch nur im Schattenrisse betrach- tet -- vom Haupte bis zu den Füßen; von vornen, von hinten; im Profil, Halbprofil, Quart- profil -- würde zu den neuesten, wichtigsten Entdeckungen über die Allbedeutsamkeit des mensch- lichen Körpers Gelegenheit geben.
Man weiß, wie wenig ich leisten kann. Jndeß hab' ich doch, obgleich ich weiß, daß man drüber lachen wird; denn worüber lacht unser prüfendes Jahrhundert nicht? ... in dieser Ab- sicht einen neuen Versuch gewagt, den Kopf des Menschen von hinten und von oben herab *) zu betrachten, und meine Versuche waren nicht vergebens. Also! lache der Lacher -- wenn sein Lachen vertönt hat, steht die Wahrheit noch gleich fest da. So wenig als das Verdienst dem Neide, oder der Körper dem Schatten entfliehen kann -- so wenig eine sinnlich gemachte Beobachtung des Menschen von einer neuen Seite dem Gelächter markloser -- seidener Strümpfe? ...
Der simpelste Weg, den ich gehen konnte, war der: Köpfe zu zeichnen, deren Cha- rakter mir ohne Rücksicht auf ihre Bildung und Physiognomie bekannt war.
Köpfe
*) Proben von diesen wird die Folge vorlegen.
XII. Fragment. Was ſich aus bloßen
Funfzehnte Tafel. Vier Kahlkoͤpfe von hinten im Schattenriſſe.
Je mehr wir die Beobachtungen des menſchlichen Koͤrpers vermannichfaltigen, von je meh- rern Seiten wir ſeine Umriſſe und Graͤnzlinien betrachten, deſto mehr Charakter des Geiſtes, der in ihm wohnet, deſto mehr angebliche und beſtimmbare Zeichen ſeiner Kraft und ſeiner Wuͤrk- ſamkeit werden wir finden.
Jch bin der Meynung: Ein Menſch von allen Seiten auch nur im Schattenriſſe betrach- tet — vom Haupte bis zu den Fuͤßen; von vornen, von hinten; im Profil, Halbprofil, Quart- profil — wuͤrde zu den neueſten, wichtigſten Entdeckungen uͤber die Allbedeutſamkeit des menſch- lichen Koͤrpers Gelegenheit geben.
Man weiß, wie wenig ich leiſten kann. Jndeß hab’ ich doch, obgleich ich weiß, daß man druͤber lachen wird; denn woruͤber lacht unſer pruͤfendes Jahrhundert nicht? ... in dieſer Ab- ſicht einen neuen Verſuch gewagt, den Kopf des Menſchen von hinten und von oben herab *) zu betrachten, und meine Verſuche waren nicht vergebens. Alſo! lache der Lacher — wenn ſein Lachen vertoͤnt hat, ſteht die Wahrheit noch gleich feſt da. So wenig als das Verdienſt dem Neide, oder der Koͤrper dem Schatten entfliehen kann — ſo wenig eine ſinnlich gemachte Beobachtung des Menſchen von einer neuen Seite dem Gelaͤchter markloſer — ſeidener Struͤmpfe? ...
Der ſimpelſte Weg, den ich gehen konnte, war der: Koͤpfe zu zeichnen, deren Cha- rakter mir ohne Ruͤckſicht auf ihre Bildung und Phyſiognomie bekannt war.
Koͤpfe
*) Proben von dieſen wird die Folge vorlegen.
<TEI><text><body><divn="2"><pbfacs="#f0188"n="132"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XII.</hi> Fragment. Was ſich aus bloßen</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#g"><hirendition="#fr">Funfzehnte Tafel.</hi><lb/><hirendition="#b">Vier Kahlkoͤpfe von hinten im Schattenriſſe.</hi></hi></head><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>e mehr wir die Beobachtungen des menſchlichen Koͤrpers vermannichfaltigen, von je meh-<lb/>
rern Seiten wir ſeine Umriſſe und Graͤnzlinien betrachten, deſto mehr Charakter des Geiſtes,<lb/>
der in ihm wohnet, deſto mehr angebliche und beſtimmbare Zeichen ſeiner Kraft und ſeiner Wuͤrk-<lb/>ſamkeit werden wir finden.</p><lb/><p>Jch bin der Meynung: Ein Menſch von allen Seiten auch nur im Schattenriſſe betrach-<lb/>
tet — vom Haupte bis zu den Fuͤßen; von vornen, von hinten; im Profil, Halbprofil, Quart-<lb/>
profil — wuͤrde zu den neueſten, wichtigſten Entdeckungen uͤber die Allbedeutſamkeit des menſch-<lb/>
lichen Koͤrpers Gelegenheit geben.</p><lb/><p>Man weiß, wie wenig ich leiſten kann. Jndeß hab’ ich doch, obgleich ich weiß, daß man<lb/>
druͤber lachen wird; denn woruͤber lacht unſer pruͤfendes Jahrhundert nicht? ... in dieſer Ab-<lb/>ſicht einen neuen Verſuch gewagt, den Kopf des Menſchen von hinten und von oben herab <noteplace="foot"n="*)">Proben von dieſen wird die Folge vorlegen.</note><lb/>
zu betrachten, und meine Verſuche waren nicht vergebens. Alſo! lache der Lacher — wenn<lb/>ſein Lachen vertoͤnt hat, ſteht die Wahrheit noch gleich feſt da. So wenig als das Verdienſt<lb/>
dem Neide, oder der Koͤrper dem Schatten entfliehen kann —ſo wenig eine ſinnlich gemachte<lb/>
Beobachtung des Menſchen von einer neuen Seite dem Gelaͤchter markloſer —ſeidener<lb/>
Struͤmpfe? ...</p><lb/><p>Der ſimpelſte Weg, den ich gehen konnte, war der: Koͤpfe zu zeichnen, deren Cha-<lb/>
rakter mir ohne Ruͤckſicht auf ihre Bildung und Phyſiognomie bekannt war.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Koͤpfe</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[132/0188]
XII. Fragment. Was ſich aus bloßen
Funfzehnte Tafel.
Vier Kahlkoͤpfe von hinten im Schattenriſſe.
Je mehr wir die Beobachtungen des menſchlichen Koͤrpers vermannichfaltigen, von je meh-
rern Seiten wir ſeine Umriſſe und Graͤnzlinien betrachten, deſto mehr Charakter des Geiſtes,
der in ihm wohnet, deſto mehr angebliche und beſtimmbare Zeichen ſeiner Kraft und ſeiner Wuͤrk-
ſamkeit werden wir finden.
Jch bin der Meynung: Ein Menſch von allen Seiten auch nur im Schattenriſſe betrach-
tet — vom Haupte bis zu den Fuͤßen; von vornen, von hinten; im Profil, Halbprofil, Quart-
profil — wuͤrde zu den neueſten, wichtigſten Entdeckungen uͤber die Allbedeutſamkeit des menſch-
lichen Koͤrpers Gelegenheit geben.
Man weiß, wie wenig ich leiſten kann. Jndeß hab’ ich doch, obgleich ich weiß, daß man
druͤber lachen wird; denn woruͤber lacht unſer pruͤfendes Jahrhundert nicht? ... in dieſer Ab-
ſicht einen neuen Verſuch gewagt, den Kopf des Menſchen von hinten und von oben herab *)
zu betrachten, und meine Verſuche waren nicht vergebens. Alſo! lache der Lacher — wenn
ſein Lachen vertoͤnt hat, ſteht die Wahrheit noch gleich feſt da. So wenig als das Verdienſt
dem Neide, oder der Koͤrper dem Schatten entfliehen kann — ſo wenig eine ſinnlich gemachte
Beobachtung des Menſchen von einer neuen Seite dem Gelaͤchter markloſer — ſeidener
Struͤmpfe? ...
Der ſimpelſte Weg, den ich gehen konnte, war der: Koͤpfe zu zeichnen, deren Cha-
rakter mir ohne Ruͤckſicht auf ihre Bildung und Phyſiognomie bekannt war.
Koͤpfe
*) Proben von dieſen wird die Folge vorlegen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/188>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.