Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.XVIII. Fragment. nuß, eine Wonne, die sich so wenig, als das Bewußtseyn, "recht und großmüthig gehandelt"zu haben," wegsophistisiren läßt. "Kann auch aus Nazareth etwas Gutes kommen?" Was läßt sich drauf ant- Aber, wer sieht's, wer fühlt's? -- Ein "rechtschaffner Jsraelite, in welchem kein "Die Sympathie und Antipathie jedes einzelnen Menschen gegen die Gestalten, die Das physiognomische Gefühl möcht' ich eigentlich einen warmen Antheil an einem Wie viele unter tausenden werden nun Physiognomisten werden? Die Schönheit zieht uns an; die Häßlichkeit stößt uns weg, und Verlangen und Ekel Aber müssen wir denn erkennen? Jmmer oder nur erkennen? Jch halte dafür, daß jedem Menschen sein Theil Physiognomik zugetheilt ist, womit er Jch fühle an mir, daß die sinnlichen Gegenstände ganz anders auf mich wirken, als Physiogno-
XVIII. Fragment. nuß, eine Wonne, die ſich ſo wenig, als das Bewußtſeyn, „recht und großmuͤthig gehandelt„zu haben,“ wegſophiſtiſiren laͤßt. „Kann auch aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ Was laͤßt ſich drauf ant- Aber, wer ſieht's, wer fuͤhlt's? — Ein „rechtſchaffner Jſraelite, in welchem kein „Die Sympathie und Antipathie jedes einzelnen Menſchen gegen die Geſtalten, die Das phyſiognomiſche Gefuͤhl moͤcht' ich eigentlich einen warmen Antheil an einem Wie viele unter tauſenden werden nun Phyſiognomiſten werden? Die Schoͤnheit zieht uns an; die Haͤßlichkeit ſtoͤßt uns weg, und Verlangen und Ekel Aber muͤſſen wir denn erkennen? Jmmer oder nur erkennen? Jch halte dafuͤr, daß jedem Menſchen ſein Theil Phyſiognomik zugetheilt iſt, womit er Jch fuͤhle an mir, daß die ſinnlichen Gegenſtaͤnde ganz anders auf mich wirken, als Phyſiogno-
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XVIII. Fragment.
nuß, eine Wonne, die ſich ſo wenig, als das Bewußtſeyn, „recht und großmuͤthig gehandelt
„zu haben,“ wegſophiſtiſiren laͤßt.
„Kann auch aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ Was laͤßt ſich drauf ant-
worten, als: „Komm und ſiehe!“
Aber, wer ſieht's, wer fuͤhlt's? — Ein „rechtſchaffner Jſraelite, in welchem kein
„Falſch iſt!“
„Die Sympathie und Antipathie jedes einzelnen Menſchen gegen die Geſtalten, die
„ihn umgeben, machen den Hauptgrund aus, warum es keine allgemeine Phyſiognomik ge-
„ben kann. Auf jedes Jndividuum machen die Gegenſtaͤnde einen eigenen Eindruck, durch
„den es regiert wird; denn Liebe, Freundſchaft, Haß werden gar ſehr, doch in wunderbarer
„Verbindung mit dem Jnnern, durch das Aeußere angezuͤndet und unterhalten.“ — Unwider-
ſprechlich! und dennoch wird dadurch die abſtrakte Beſtimmtbarkeit gewiſſer Kraͤfte und Triebe
durch aͤußerliche ſichtbare Zeichen nicht aufgehoben.
Das phyſiognomiſche Gefuͤhl moͤcht' ich eigentlich einen warmen Antheil an einem
ſichtlichen Gegenſtande nennen, wodurch ich das ganze Verhaͤltniß ſeiner Exiſtenz erkenne.
Wie viele unter tauſenden werden nun Phyſiognomiſten werden?
Die Schoͤnheit zieht uns an; die Haͤßlichkeit ſtoͤßt uns weg, und Verlangen und Ekel
hindern uns beydes zu erkennen.
Aber muͤſſen wir denn erkennen? Jmmer oder nur erkennen?
Jch halte dafuͤr, daß jedem Menſchen ſein Theil Phyſiognomik zugetheilt iſt, womit er
zu ſeiner Nothdurft auskommt.
Jch fuͤhle an mir, daß die ſinnlichen Gegenſtaͤnde ganz anders auf mich wirken, als
vor Jahren; und doch koͤnnt's ſeyn, daß dieſe Veraͤnderung nicht eben wachſende Erkenntniß
waͤre. Die Veraͤnderung meiner ſelbſt kann andere Verhaͤltniſſe der uͤbrigen Dinge gegen mich
hervorgebracht haben.
Phyſiogno-
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