Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.XVII. Fragment. Physiognomische Uebungen Das Auge des Poeten liegt selten sehr tief. Die Knochen um die Augen sind selten Die Einbildungskraft schärft nicht, sie schwächt und diluirt Nerven, Muskeln 2. Der zweyte Kopf ist von Einem der feinsten Menschen, und der feinsten Physiogno- Der Mann, dessen Bild wir vor uns haben, ist einer der feinsten Beobachter, der fein- Ein feiner Verstand ist das Mittel zwischen hellem und tiefem Verstande; ist eine 3. Von dem dritten Kopfe, den ich nicht persönlich kenne, schreibt mir ein sehr zuver- "leitung
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen Das Auge des Poeten liegt ſelten ſehr tief. Die Knochen um die Augen ſind ſelten Die Einbildungskraft ſchaͤrft nicht, ſie ſchwaͤcht und diluirt Nerven, Muskeln 2. Der zweyte Kopf iſt von Einem der feinſten Menſchen, und der feinſten Phyſiogno- Der Mann, deſſen Bild wir vor uns haben, iſt einer der feinſten Beobachter, der fein- Ein feiner Verſtand iſt das Mittel zwiſchen hellem und tiefem Verſtande; iſt eine 3. Von dem dritten Kopfe, den ich nicht perſoͤnlich kenne, ſchreibt mir ein ſehr zuver- „leitung
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0368" n="242"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen</hi> </fw><lb/> <p>Das Auge des Poeten liegt ſelten ſehr tief. Die Knochen um die Augen ſind ſelten<lb/> ſehr ſcharf und hervorſtehend. Ein Gelehrter ſagt mir, daß ein Engellaͤnder bemerkt habe, daß<lb/> die Poeten mehrentheils etwas fad' ausſehen. Ein Beyſpiel hievon iſt <hi rendition="#fr">Homer</hi> in der folgenden<lb/> Platte. Je mehr poetiſche Genies oder Schriftſteller die Augen tief und die Stirne knochigt<lb/> haben, deſto verſtandreicher ſind ihre Gedichte, und deſto weniger fliegend.</p><lb/> <p>Die Einbildungskraft <hi rendition="#fr">ſchaͤrft</hi> nicht, ſie ſchwaͤcht und diluirt Nerven, Muskeln<lb/> Knochen. —</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>2.</head><lb/> <p>Der zweyte Kopf iſt von Einem der <hi rendition="#fr">feinſten</hi> Menſchen, und der feinſten Phyſiogno-<lb/> miſten. Jch brauche das Wort <hi rendition="#fr">fein</hi> gerad in dem unbeſtimmten Sinne, in dem es gemeini-<lb/> glich genommen wird. Jch rede von der <hi rendition="#fr">Anlage,</hi> der <hi rendition="#fr">Fertigkeit,</hi> nicht von der <hi rendition="#fr">Anwen-<lb/> dung</hi> derſelben. Dieſe <hi rendition="#fr">Feinheit</hi> kann einen <hi rendition="#fr">Paullus</hi> zum groͤßten Apoſtel, und einen <hi rendition="#fr">Boßuet</hi><lb/> zum aͤrgſten Verfolger <hi rendition="#fr">Fenelons</hi> machen.</p><lb/> <p>Der Mann, deſſen Bild wir vor uns haben, iſt einer der feinſten Beobachter, der fein-<lb/> ſten Menſchenkenner, der feinſten Kritiker! — weniger ſchoͤpfriſche Kraft, als feine, viel und<lb/> tief auffaſſende Empfindſamkeit! — Jch hab ihn in herrlichen Augenblicken geſehen, die mich<lb/> innig davon uͤberzeugten, daß eben ſo viel Herz in ſeiner Bruſt, als Hirn in ſeinem Kopfe ſey. —<lb/> Sein Blick und der Umriß ſeines Augliedes, wie es ſich in der Natur auf dem Apfel zeich-<lb/> net, wenn er unbeobachtet beobachtet — zeigt unwiderſprechlich einen außerordentlich <hi rendition="#fr">feinen</hi><lb/> Verſtand.</p><lb/> <p>Ein <hi rendition="#fr">feiner</hi> Verſtand iſt das Mittel zwiſchen <hi rendition="#fr">hellem</hi> und <hi rendition="#fr">tiefem</hi> Verſtande; iſt eine<lb/> Vermiſchung von beyden.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>3.</head><lb/> <p>Von dem dritten Kopfe, den ich nicht perſoͤnlich kenne, ſchreibt mir ein ſehr zuver-<lb/> laͤßiger Freund: „Ein großer Mathematiker und Phyſiker, der beydes, ohne die geringſte An-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">„leitung</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [242/0368]
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
Das Auge des Poeten liegt ſelten ſehr tief. Die Knochen um die Augen ſind ſelten
ſehr ſcharf und hervorſtehend. Ein Gelehrter ſagt mir, daß ein Engellaͤnder bemerkt habe, daß
die Poeten mehrentheils etwas fad' ausſehen. Ein Beyſpiel hievon iſt Homer in der folgenden
Platte. Je mehr poetiſche Genies oder Schriftſteller die Augen tief und die Stirne knochigt
haben, deſto verſtandreicher ſind ihre Gedichte, und deſto weniger fliegend.
Die Einbildungskraft ſchaͤrft nicht, ſie ſchwaͤcht und diluirt Nerven, Muskeln
Knochen. —
2.
Der zweyte Kopf iſt von Einem der feinſten Menſchen, und der feinſten Phyſiogno-
miſten. Jch brauche das Wort fein gerad in dem unbeſtimmten Sinne, in dem es gemeini-
glich genommen wird. Jch rede von der Anlage, der Fertigkeit, nicht von der Anwen-
dung derſelben. Dieſe Feinheit kann einen Paullus zum groͤßten Apoſtel, und einen Boßuet
zum aͤrgſten Verfolger Fenelons machen.
Der Mann, deſſen Bild wir vor uns haben, iſt einer der feinſten Beobachter, der fein-
ſten Menſchenkenner, der feinſten Kritiker! — weniger ſchoͤpfriſche Kraft, als feine, viel und
tief auffaſſende Empfindſamkeit! — Jch hab ihn in herrlichen Augenblicken geſehen, die mich
innig davon uͤberzeugten, daß eben ſo viel Herz in ſeiner Bruſt, als Hirn in ſeinem Kopfe ſey. —
Sein Blick und der Umriß ſeines Augliedes, wie es ſich in der Natur auf dem Apfel zeich-
net, wenn er unbeobachtet beobachtet — zeigt unwiderſprechlich einen außerordentlich feinen
Verſtand.
Ein feiner Verſtand iſt das Mittel zwiſchen hellem und tiefem Verſtande; iſt eine
Vermiſchung von beyden.
3.
Von dem dritten Kopfe, den ich nicht perſoͤnlich kenne, ſchreibt mir ein ſehr zuver-
laͤßiger Freund: „Ein großer Mathematiker und Phyſiker, der beydes, ohne die geringſte An-
„leitung
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |