Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.zur Prüfung des physiognomischen Genies. schon sehr groß seyn. So oft ich Kleinjoggen sehe, so oft dank' ich's Hirzeln aufs neue, daßer ihn aus der Dunkelheit hervorgezogen hat. Wenige Menschen hab ich so scharf geprüft, von so manchen Seiten, in so verschiedenen Jch lege die neuste Ausgabe seiner Lebensbeschreibung diesen Augenblick weg, und mußte Schon so oft hab ich ihn beredet, zu sitzen; drey sehr geschickte und im Treffen glückliche Wie es den Mahlern mit Kleinjoggs Gesicht gieng, so glaub' ich, dürft' es den Beschrei- Wenn H h 2
zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies. ſchon ſehr groß ſeyn. So oft ich Kleinjoggen ſehe, ſo oft dank' ich's Hirzeln aufs neue, daßer ihn aus der Dunkelheit hervorgezogen hat. Wenige Menſchen hab ich ſo ſcharf gepruͤft, von ſo manchen Seiten, in ſo verſchiedenen Jch lege die neuſte Ausgabe ſeiner Lebensbeſchreibung dieſen Augenblick weg, und mußte Schon ſo oft hab ich ihn beredet, zu ſitzen; drey ſehr geſchickte und im Treffen gluͤckliche Wie es den Mahlern mit Kleinjoggs Geſicht gieng, ſo glaub' ich, duͤrft' es den Beſchrei- Wenn H h 2
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zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies.
ſchon ſehr groß ſeyn. So oft ich Kleinjoggen ſehe, ſo oft dank' ich's Hirzeln aufs neue, daß
er ihn aus der Dunkelheit hervorgezogen hat.
Wenige Menſchen hab ich ſo ſcharf gepruͤft, von ſo manchen Seiten, in ſo verſchiedenen
Situationen beobachtet, und keinen, nicht einen durchaus ſich ſo gleich, ſo feſt, ſo zuverlaͤßig, ſo
lauter, ſo rein, ſo unbeſtechlich, ſo ſelbſtſtaͤndig, ſo in ſich lebend, ſo einfach, ſo ganz nur das,
was er iſt, nur das was er ſeyn will, — ſo einzig in ſeiner Art gefunden, wie dieſen in meinen
Augen ganz unvergleichbaren Mann.
Jch lege die neuſte Ausgabe ſeiner Lebensbeſchreibung dieſen Augenblick weg, und mußte
oft laͤcheln, wenn ſein Xenophon ſich mehrmals in eine Schwaͤrmerey dahin geriſſen glaubt, wenn
er von gewiſſen ſchoͤnen Situationen ſpricht, in denen er ſeinen Sokrates geſehen. Entſchuldi-
gung wird's doch wohl nicht beduͤrfen, wenn man mit einiger Waͤrme von dieſem Manne ſpricht.
Kein Menſch, der Kleinjoggen genau kennt, keiner wird ſagen, daß zu viel von ihm geſagt wor-
den, und verzeihen wird man mir, wenn ich eher das Gegentheil glaube; das iſt, wenn ich glaube:
Kleinjogg kann mit der Feder ſo wenig beſchrieben, als mit dem Bleyſtift gezeichnet oder mit dem
Pinſel gemahlt werden.
Schon ſo oft hab ich ihn beredet, zu ſitzen; drey ſehr geſchickte und im Treffen gluͤckliche
Portraͤtmahler haben ihre Kraͤfte an ihm verſucht. Jch hab alles aufgeboten, daß er erreicht
werde. Alle Zeichnungen waren kennbar; aber vollkommen aͤhnlich keine! Alle mehr oder weniger
Karrikatur. Jch gebe alle Hoffnung auf, daß ſein herrliches Geſicht jemals vollkommen abgebil-
det, und der Welt und Nachwelt uͤberliefert werden koͤnne.
Wie es den Mahlern mit Kleinjoggs Geſicht gieng, ſo glaub' ich, duͤrft' es den Beſchrei-
bern ſeines Characters gehen. Alles, was Hirzel von ihm ſagt, iſt reine Wahrheit. Dieſer, —
jener Zug vollkommen! aber das ganze Gemaͤlde — ja es iſt Kleinjogg, wenn's nicht neben ihn
geſtellt wird! Wird's neben ihn geſtellt; wer muß nicht geſtehen: Kleinjogg kann nicht gezeichnet
werden. So wenig ich die Schuld auf die Mahler werfen will, ſo wenig auf ſeinen Geſchicht-
ſchreiber. Es kann ſchwerlich jemand fuͤr ſeine Talente und ſeine Verdienſte mehr Hochachtung
haben, wie ich; ſchwerlich jemand ſein Buch mit mehr Vergnuͤgen leſen, wie ich, und ich darf
hinzuthun, ſchwerlich jemand die Wahrheit ſeiner Beſchreibung tiefer empfinden — und dennoch
muß ich geſtehen, das Original iſt mir uͤber die Copie! oder mit andern Worten: es iſt keine Co-
pie von einem ſolchen Originale moͤglich — und dann muß ich auch das nicht vergeſſen — Hirzel
wollte nur Geſchichtſchreiber nicht Panegyriſt ſeyn.
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