er hatte lassen in einen Fels hauen, und wälzete einen grossen Stein vor die Thür des Grabes und gieng davon. Es war aber allda Maria Magdalena, und die andere Maria: Die setzten sich gegen das Grab.
So hattest du denn endlich, erhabner Anfänger und Vollender -- den lang erseufzten Punkt der Ruhe im Grabe erreicht? So bereitete dein Gott, dem du deine reine Seele empfohlen hattest, auch deinem Leich- nam eine ehrenvolle Stätte der Ruhe? So fieng sich also, sogleich nach deinem Tode, deine Verherrlichung an? So erfüllte sich auch alles, was von dem Begräb- niß des Erhabensten aller Gestorbnen in den Schriften der Vorzeit aufgezeichnet war -- du wurdest begra- ben nach den Schriften. Ich will, sagt eine alte Weissagung, Gottlose vor sein Grab stellen, und Reiche seinem Tode gegen über*). Römische Sol- daten bewacheten sein Grab; Reiche harrten auf den Moment seines Todes; Eilten, sobald Er sein Haupt geneigt hatte, Ihn vor dem Anbruch des grossen Sab- baths, zu seiner Ruhestätte zu bringen. Joseph wagte den edeln, ihm durch alle Jahrhunderte und Ewigkeiten rühmlichen Schritt, von Pilatus seinen Leichnam zu verlangen. Er erhielt, was Er verlangte -- das Schön- ste, Reinste, Heiligste, was die Schöpfung hatte, ward sein Eigenthum -- und noch wußt' Er nicht, wie kost- bar dies Eigenthum war. Die Ehrfurcht hätt' ihn ab-
gehal-
*) Nach der alten griechischen Uebersetzung der Siebenzig Jes. LIII.
L l 3
Begräbniß Jeſu.
er hatte laſſen in einen Fels hauen, und wälzete einen groſſen Stein vor die Thür des Grabes und gieng davon. Es war aber allda Maria Magdalena, und die andere Maria: Die ſetzten ſich gegen das Grab.
So hatteſt du denn endlich, erhabner Anfänger und Vollender — den lang erſeufzten Punkt der Ruhe im Grabe erreicht? So bereitete dein Gott, dem du deine reine Seele empfohlen hatteſt, auch deinem Leich- nam eine ehrenvolle Stätte der Ruhe? So fieng ſich alſo, ſogleich nach deinem Tode, deine Verherrlichung an? So erfüllte ſich auch alles, was von dem Begräb- niß des Erhabenſten aller Geſtorbnen in den Schriften der Vorzeit aufgezeichnet war — du wurdeſt begra- ben nach den Schriften. Ich will, ſagt eine alte Weiſſagung, Gottloſe vor ſein Grab ſtellen, und Reiche ſeinem Tode gegen über*). Römiſche Sol- daten bewacheten ſein Grab; Reiche harrten auf den Moment ſeines Todes; Eilten, ſobald Er ſein Haupt geneigt hatte, Ihn vor dem Anbruch des groſſen Sab- baths, zu ſeiner Ruheſtätte zu bringen. Joſeph wagte den edeln, ihm durch alle Jahrhunderte und Ewigkeiten rühmlichen Schritt, von Pilatus ſeinen Leichnam zu verlangen. Er erhielt, was Er verlangte — das Schön- ſte, Reinſte, Heiligſte, was die Schöpfung hatte, ward ſein Eigenthum — und noch wußt’ Er nicht, wie koſt- bar dies Eigenthum war. Die Ehrfurcht hätt’ ihn ab-
gehal-
*) Nach der alten griechiſchen Ueberſetzung der Siebenzig Jeſ. LIII.
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[533[553]/0561]
Begräbniß Jeſu.
er hatte laſſen in einen Fels hauen, und wälzete
einen groſſen Stein vor die Thür des Grabes
und gieng davon. Es war aber allda Maria
Magdalena, und die andere Maria: Die ſetzten
ſich gegen das Grab.
So hatteſt du denn endlich, erhabner Anfänger
und Vollender — den lang erſeufzten Punkt der Ruhe
im Grabe erreicht? So bereitete dein Gott, dem du
deine reine Seele empfohlen hatteſt, auch deinem Leich-
nam eine ehrenvolle Stätte der Ruhe? So fieng ſich
alſo, ſogleich nach deinem Tode, deine Verherrlichung
an? So erfüllte ſich auch alles, was von dem Begräb-
niß des Erhabenſten aller Geſtorbnen in den Schriften
der Vorzeit aufgezeichnet war — du wurdeſt begra-
ben nach den Schriften. Ich will, ſagt eine alte
Weiſſagung, Gottloſe vor ſein Grab ſtellen, und
Reiche ſeinem Tode gegen über *). Römiſche Sol-
daten bewacheten ſein Grab; Reiche harrten auf den
Moment ſeines Todes; Eilten, ſobald Er ſein Haupt
geneigt hatte, Ihn vor dem Anbruch des groſſen Sab-
baths, zu ſeiner Ruheſtätte zu bringen. Joſeph wagte
den edeln, ihm durch alle Jahrhunderte und Ewigkeiten
rühmlichen Schritt, von Pilatus ſeinen Leichnam zu
verlangen. Er erhielt, was Er verlangte — das Schön-
ſte, Reinſte, Heiligſte, was die Schöpfung hatte, ward
ſein Eigenthum — und noch wußt’ Er nicht, wie koſt-
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*) Nach der alten griechiſchen Ueberſetzung der Siebenzig
Jeſ. LIII.
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 533[553]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/561>, abgerufen am 22.11.2024.
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