ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß- te, wärmste, treuste Herz, ohne wachen und bethen, sich nicht halten kann -- und daß nichts als Erbar- men, daß, der es siehet, wenn der Satan, die red- lichen Verehrer seines Namens sichten will wie den Waizen -- und für sie bittet, daß ihr Glaube nicht abnehme, oder zu Grunde gehe -- sie wieder aufrichten kann.
Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf das Wort Schwachheit -- wir nannten die Treulo- sigkeit des Apostels Schwäche -- und warum? -- weil er nicht fallen wollte. Judas wollte verrathen. Er sann und dachte darauf. Es war Absicht, Vorsatz, Plan bey ihm. Das war's was ihn zu dem unglücklich- sten, verwerfenswürdigsten Menschen machte. Petrus verläugnete -- zwar dreymahl -- aber Er wollt' es nicht. Eine Stunde vorher schien es ihm noch die un- möglichste Sache von der Welt. Er ward, obgleich gewarnet, dennoch von der Versuchung überfallen -- und obgleich er zwischen jeder Versuchung Zwischenraum zum Nachdenken und zur Besinnung hatte -- so war er doch zu sehr bestürzt, betäubt im Gedränge und im La- byrinthe -- als daß es ihm möglich gewesen wäre -- sich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden- ken über das Schicksal seines Meisters wieder vom Nach- denken über sich selbst ab. Wer das Erstemahl gefallen ist, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie- fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn kein Blick der Erbarmung ihn gleichsam unmittelbar zu- rückhohlete.
Ein
Verläugnung von Petrus.
ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß- te, wärmſte, treuſte Herz, ohne wachen und bethen, ſich nicht halten kann — und daß nichts als Erbar- men, daß, der es ſiehet, wenn der Satan, die red- lichen Verehrer ſeines Namens ſichten will wie den Waizen — und für ſie bittet, daß ihr Glaube nicht abnehme, oder zu Grunde gehe — ſie wieder aufrichten kann.
Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf das Wort Schwachheit — wir nannten die Treulo- ſigkeit des Apoſtels Schwäche — und warum? — weil er nicht fallen wollte. Judas wollte verrathen. Er ſann und dachte darauf. Es war Abſicht, Vorſatz, Plan bey ihm. Das war’s was ihn zu dem unglücklich- ſten, verwerfenswürdigſten Menſchen machte. Petrus verläugnete — zwar dreymahl — aber Er wollt’ es nicht. Eine Stunde vorher ſchien es ihm noch die un- möglichſte Sache von der Welt. Er ward, obgleich gewarnet, dennoch von der Verſuchung überfallen — und obgleich er zwiſchen jeder Verſuchung Zwiſchenraum zum Nachdenken und zur Beſinnung hatte — ſo war er doch zu ſehr beſtürzt, betäubt im Gedränge und im La- byrinthe — als daß es ihm möglich geweſen wäre — ſich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden- ken über das Schickſal ſeines Meiſters wieder vom Nach- denken über ſich ſelbſt ab. Wer das Erſtemahl gefallen iſt, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie- fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn kein Blick der Erbarmung ihn gleichſam unmittelbar zu- rückhohlete.
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[495[515]/0523]
Verläugnung von Petrus.
ben einander kennen lernen; Lernen, daß auch das beß-
te, wärmſte, treuſte Herz, ohne wachen und bethen,
ſich nicht halten kann — und daß nichts als Erbar-
men, daß, der es ſiehet, wenn der Satan, die red-
lichen Verehrer ſeines Namens ſichten will wie den
Waizen — und für ſie bittet, daß ihr Glaube
nicht abnehme, oder zu Grunde gehe — ſie wieder
aufrichten kann.
Wir legten bisher einigemale den Nachdruck auf
das Wort Schwachheit — wir nannten die Treulo-
ſigkeit des Apoſtels Schwäche — und warum? — weil
er nicht fallen wollte. Judas wollte verrathen. Er
ſann und dachte darauf. Es war Abſicht, Vorſatz,
Plan bey ihm. Das war’s was ihn zu dem unglücklich-
ſten, verwerfenswürdigſten Menſchen machte. Petrus
verläugnete — zwar dreymahl — aber Er wollt’ es
nicht. Eine Stunde vorher ſchien es ihm noch die un-
möglichſte Sache von der Welt. Er ward, obgleich
gewarnet, dennoch von der Verſuchung überfallen — und
obgleich er zwiſchen jeder Verſuchung Zwiſchenraum zum
Nachdenken und zur Beſinnung hatte — ſo war er
doch zu ſehr beſtürzt, betäubt im Gedränge und im La-
byrinthe — als daß es ihm möglich geweſen wäre —
ſich zu erhohlen. Ohne Zweifel riß ihn das Nachden-
ken über das Schickſal ſeines Meiſters wieder vom Nach-
denken über ſich ſelbſt ab. Wer das Erſtemahl gefallen
iſt, fällt das zweyte und drittemal viel leichter und tie-
fer, wenn er nicht Zeit hatte zur Erhohlung, wenn
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 495[515]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/523>, abgerufen am 24.11.2024.
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