ten denken zuerst an sich selbst -- und der Schuldige, der Heuchler ahmt erst zuletzt, gleich als gezwungen, die Sprache der wehmüthig-ängstlichen Unschuld nach.
2. Sie wurden sehr betrübt. Um ihres Herrn willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden sollte -- und um ihrer Gesellschaft willen, daß einer unter ihnen ein so arges Herz haben sollte. Solche Be- trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder wohlthun, und eine der bittersten Stunden seines Le- bens versüssen.
3. Des Menschen Sohn gehet dahin, wie von Ihm geschrieben ist -- Jtzt ist die Zeit des Schweigens und Duldens, des Gehorsams und der Hingebung unter den längsten ausgedrückten Willen des Vaters. Der preis gegeben wird wie ein Lamm zur Schlachtung geführet werden, und seinen Mund nicht aufthun.
4. Aber, wehe dem Menschen, durch wel- chen des Menschen Sohn verrathen wird. Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie ge- bohren wäre. -- Mit andern Worten -- Der Un- glückliche wird den Tag seiner Geburt verfluchen! Er wird sein Leben verwünschen -- Sein eigener Henker werden. Wer Böses gegen den Guten vornimmt, der bereitet sich Schrecken und Verzweiflung. Wer die Unschuld der Bosheit preis giebt -- tritt in Ischariots Fußtapfen. -- Wie gelassen und ernstwarnend ist übri- gens dieß Wort Jesu -- wie mußte es entweder kniefäl-
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Entdeckung des Verräthers.
ten denken zuerſt an ſich ſelbſt — und der Schuldige, der Heuchler ahmt erſt zuletzt, gleich als gezwungen, die Sprache der wehmüthig-ängſtlichen Unſchuld nach.
2. Sie wurden ſehr betrübt. Um ihres Herrn willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden ſollte — und um ihrer Geſellſchaft willen, daß einer unter ihnen ein ſo arges Herz haben ſollte. Solche Be- trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder wohlthun, und eine der bitterſten Stunden ſeines Le- bens verſüſſen.
3. Des Menſchen Sohn gehet dahin, wie von Ihm geſchrieben iſt — Jtzt iſt die Zeit des Schweigens und Duldens, des Gehorſams und der Hingebung unter den längſten ausgedrückten Willen des Vaters. Der preis gegeben wird wie ein Lamm zur Schlachtung geführet werden, und ſeinen Mund nicht aufthun.
4. Aber, wehe dem Menſchen, durch wel- chen des Menſchen Sohn verrathen wird. Es wäre demſelben Menſchen beſſer, daß er nie ge- bohren wäre. — Mit andern Worten — Der Un- glückliche wird den Tag ſeiner Geburt verfluchen! Er wird ſein Leben verwünſchen — Sein eigener Henker werden. Wer Böſes gegen den Guten vornimmt, der bereitet ſich Schrecken und Verzweiflung. Wer die Unſchuld der Bosheit preis giebt — tritt in Iſchariots Fußtapfen. — Wie gelaſſen und ernſtwarnend iſt übri- gens dieß Wort Jeſu — wie mußte es entweder kniefäl-
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[451[471]/0479]
Entdeckung des Verräthers.
ten denken zuerſt an ſich ſelbſt — und der Schuldige,
der Heuchler ahmt erſt zuletzt, gleich als gezwungen, die
Sprache der wehmüthig-ängſtlichen Unſchuld nach.
2. Sie wurden ſehr betrübt. Um ihres Herrn
willen, aus Liebe zu Ihm, daß Er verrathen werden
ſollte — und um ihrer Geſellſchaft willen, daß einer
unter ihnen ein ſo arges Herz haben ſollte. Solche Be-
trübniß der Liebe mußte dem Herzen des Herrn wieder
wohlthun, und eine der bitterſten Stunden ſeines Le-
bens verſüſſen.
3. Des Menſchen Sohn gehet dahin, wie
von Ihm geſchrieben iſt — Jtzt iſt die Zeit des
Schweigens und Duldens, des Gehorſams und der
Hingebung unter den längſten ausgedrückten Willen
des Vaters. Der preis gegeben wird wie ein Lamm
zur Schlachtung geführet werden, und ſeinen
Mund nicht aufthun.
4. Aber, wehe dem Menſchen, durch wel-
chen des Menſchen Sohn verrathen wird. Es
wäre demſelben Menſchen beſſer, daß er nie ge-
bohren wäre. — Mit andern Worten — Der Un-
glückliche wird den Tag ſeiner Geburt verfluchen! Er
wird ſein Leben verwünſchen — Sein eigener Henker
werden. Wer Böſes gegen den Guten vornimmt, der
bereitet ſich Schrecken und Verzweiflung. Wer die
Unſchuld der Bosheit preis giebt — tritt in Iſchariots
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gens dieß Wort Jeſu — wie mußte es entweder kniefäl-
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 451[471]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/479>, abgerufen am 22.11.2024.
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