te man thun und jene nicht unterlassen. Ihr blinde Führer, die ihr die Mücken seiget, das Kameel aber verschlucket. Das Kleinste und Unwich- tigste, wie wenn es das Größte und Wichtigste wäre, mit der ängstlichsten Sorgfalt auszuüben, um unter diesem Scheine das Größte und Wichtigste vernachläßigen zu können -- Siehe ein Hauptzug des pharisäischen Cha- rakters! Das kleinste Kräutgen verzehndet der Pharisäer aufs gewissenhafteste -- und der Wittwen und Waysen Häuser frißt er auf's gewissenloseste; Die Ameise im Wege schont er, daß Er sie ja nicht zertrete -- und geht hin und ermordet seinen Bruder.
Tödtende Buchstäbeley! Fürchterlichste Verblen- dung! Bewahre der Erbarmer im Himmel jede See- le vor diesen Stricken des Vaters der Lügen, des Mör- ders von Anfang -- Wir wollen's uns doch täglich mit allem Licht und Kraft der Wahrheit vorsagen: Das Kleine hebt das Grosse nicht auf; Erstattung klei- ner Pflichten spricht von grossen nicht los -- äussere Ge- rechtigkeit nicht von innerer Gerechtigkeit. Pharisäi- scher Mensch, der das Unwichtige thut, um das Wich- tige übertreten zu können! Dich trift das Wehe, das der Herr über jene ausgesprochen hat. Recht und Bil- ligkeit -- Barmherzigkeit und Liebe -- Treue und Ehr- lichkeit in allem und gegen alle -- siehe da deine wesent- lichsten und wichtigsten Menschenpflichten; Diese thue zuerst, diese thue mit allem Ernst und Eifer -- für die minder wichtigen wirst du immer Zeit finden -- wirst diese in jenen vollbringen. Das Kleine liegt im Gros-
sen
Phariſäiſche Buchſtäbeley und ꝛc.
te man thun und jene nicht unterlaſſen. Ihr blinde Führer, die ihr die Mücken ſeiget, das Kameel aber verſchlucket. Das Kleinſte und Unwich- tigſte, wie wenn es das Größte und Wichtigſte wäre, mit der ängſtlichſten Sorgfalt auszuüben, um unter dieſem Scheine das Größte und Wichtigſte vernachläßigen zu können — Siehe ein Hauptzug des phariſäiſchen Cha- rakters! Das kleinſte Kräutgen verzehndet der Phariſäer aufs gewiſſenhafteſte — und der Wittwen und Wayſen Häuſer frißt er auf’s gewiſſenloſeſte; Die Ameiſe im Wege ſchont er, daß Er ſie ja nicht zertrete — und geht hin und ermordet ſeinen Bruder.
Tödtende Buchſtäbeley! Fürchterlichſte Verblen- dung! Bewahre der Erbarmer im Himmel jede See- le vor dieſen Stricken des Vaters der Lügen, des Mör- ders von Anfang — Wir wollen’s uns doch täglich mit allem Licht und Kraft der Wahrheit vorſagen: Das Kleine hebt das Groſſe nicht auf; Erſtattung klei- ner Pflichten ſpricht von groſſen nicht los — äuſſere Ge- rechtigkeit nicht von innerer Gerechtigkeit. Phariſäi- ſcher Menſch, der das Unwichtige thut, um das Wich- tige übertreten zu können! Dich trift das Wehe, das der Herr über jene ausgeſprochen hat. Recht und Bil- ligkeit — Barmherzigkeit und Liebe — Treue und Ehr- lichkeit in allem und gegen alle — ſiehe da deine weſent- lichſten und wichtigſten Menſchenpflichten; Dieſe thue zuerſt, dieſe thue mit allem Ernſt und Eifer — für die minder wichtigen wirſt du immer Zeit finden — wirſt dieſe in jenen vollbringen. Das Kleine liegt im Groſ-
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[365[385]/0393]
Phariſäiſche Buchſtäbeley und ꝛc.
te man thun und jene nicht unterlaſſen. Ihr
blinde Führer, die ihr die Mücken ſeiget, das
Kameel aber verſchlucket. Das Kleinſte und Unwich-
tigſte, wie wenn es das Größte und Wichtigſte wäre, mit
der ängſtlichſten Sorgfalt auszuüben, um unter dieſem
Scheine das Größte und Wichtigſte vernachläßigen zu
können — Siehe ein Hauptzug des phariſäiſchen Cha-
rakters! Das kleinſte Kräutgen verzehndet der Phariſäer
aufs gewiſſenhafteſte — und der Wittwen und Wayſen
Häuſer frißt er auf’s gewiſſenloſeſte; Die Ameiſe im
Wege ſchont er, daß Er ſie ja nicht zertrete — und
geht hin und ermordet ſeinen Bruder.
Tödtende Buchſtäbeley! Fürchterlichſte Verblen-
dung! Bewahre der Erbarmer im Himmel jede See-
le vor dieſen Stricken des Vaters der Lügen, des Mör-
ders von Anfang — Wir wollen’s uns doch täglich
mit allem Licht und Kraft der Wahrheit vorſagen:
Das Kleine hebt das Groſſe nicht auf; Erſtattung klei-
ner Pflichten ſpricht von groſſen nicht los — äuſſere Ge-
rechtigkeit nicht von innerer Gerechtigkeit. Phariſäi-
ſcher Menſch, der das Unwichtige thut, um das Wich-
tige übertreten zu können! Dich trift das Wehe, das
der Herr über jene ausgeſprochen hat. Recht und Bil-
ligkeit — Barmherzigkeit und Liebe — Treue und Ehr-
lichkeit in allem und gegen alle — ſiehe da deine weſent-
lichſten und wichtigſten Menſchenpflichten; Dieſe thue
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 365[385]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/393>, abgerufen am 24.11.2024.
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