Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Matthäus XXII.
Und fragten Ihn, und sprachen: Meister! Mo-
ses hat gesagt: So einer stirbt, und hat nicht
Kinder, so soll sein Bruder sein Weib freyen, und
seinem Bruder Saamen erwecken. Nun sind
bey Uns gewesen sieben Brüder. Der erste freyete
und starb: Und dieweil er nicht Saamen hatte,
ließ er sein Weib seinem Bruder. Desselbigen
gleichen der andere und der dritte, bis an den
siebenden. Zuletzt nach allen starb auch das Weib.
Nun in der Auferstehung, welches Weib wird
sie seyn unter den sieben? Sie haben sie ja alle
gehabt. Jesus aber antwortete und sprach zu ih-
nen: Ihr irret, und wisset die Schrift nicht, noch
die Kraft Gottes. In der Auferstehung werden
sie nicht freyen, noch sich freyen lassen. Son-
dern sie sind gleich wie die Engel Gottes im Him-
mel. Habt ihr aber nicht gelesen von der Todten-
auferstehung, daß euch gesagt ist von Gott, der
da spricht: Ich bin der Gott Abraham, der Gott
Isaak, und der Gott Jakobs. Gott aber ist nicht
ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen.
Und da solches das Volk hörete, entsatzten sie
sich über seine Lehre.

Mit den zwo grossen Hauptpartheyen der Mensch-
heit -- den Pharisäischen und Sadduzäischen Gei-
stern -- hatte unser Herr -- hat jeder christliche Lehrer
immer zu kämpfen -- wenn die eine ihn verläßt; So
tritt sogleich die andre auf, Ihm verfängliche, spitzfindi-
ge Fragen vorzulegen. Der Geist der Spitzfindigkeit

denkt

Matthäus XXII.
Und fragten Ihn, und ſprachen: Meiſter! Mo-
ſes hat geſagt: So einer ſtirbt, und hat nicht
Kinder, ſo ſoll ſein Bruder ſein Weib freyen, und
ſeinem Bruder Saamen erwecken. Nun ſind
bey Uns geweſen ſieben Brüder. Der erſte freyete
und ſtarb: Und dieweil er nicht Saamen hatte,
ließ er ſein Weib ſeinem Bruder. Deſſelbigen
gleichen der andere und der dritte, bis an den
ſiebenden. Zuletzt nach allen ſtarb auch das Weib.
Nun in der Auferſtehung, welches Weib wird
ſie ſeyn unter den ſieben? Sie haben ſie ja alle
gehabt. Jeſus aber antwortete und ſprach zu ih-
nen: Ihr irret, und wiſſet die Schrift nicht, noch
die Kraft Gottes. In der Auferſtehung werden
ſie nicht freyen, noch ſich freyen laſſen. Son-
dern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im Him-
mel. Habt ihr aber nicht geleſen von der Todten-
auferſtehung, daß euch geſagt iſt von Gott, der
da ſpricht: Ich bin der Gott Abraham, der Gott
Iſaak, und der Gott Jakobs. Gott aber iſt nicht
ein Gott der Todten, ſondern der Lebendigen.
Und da ſolches das Volk hörete, entſatzten ſie
ſich über ſeine Lehre.

Mit den zwo groſſen Hauptpartheyen der Menſch-
heit — den Phariſäiſchen und Sadduzäiſchen Gei-
ſtern — hatte unſer Herr — hat jeder chriſtliche Lehrer
immer zu kämpfen — wenn die eine ihn verläßt; So
tritt ſogleich die andre auf, Ihm verfängliche, ſpitzfindi-
ge Fragen vorzulegen. Der Geiſt der Spitzfindigkeit

denkt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0368" n="340[360]"/>
              <fw place="top" type="header">Matthäus <hi rendition="#aq">XXII.</hi></fw><lb/> <hi rendition="#fr">Und fragten Ihn, und &#x017F;prachen: Mei&#x017F;ter! Mo-<lb/>
&#x017F;es hat ge&#x017F;agt: So einer &#x017F;tirbt, und hat nicht<lb/>
Kinder, &#x017F;o &#x017F;oll &#x017F;ein Bruder &#x017F;ein Weib freyen, und<lb/>
&#x017F;einem Bruder Saamen erwecken. Nun &#x017F;ind<lb/>
bey Uns gewe&#x017F;en &#x017F;ieben Brüder. Der er&#x017F;te freyete<lb/>
und &#x017F;tarb: Und dieweil er nicht Saamen hatte,<lb/>
ließ er &#x017F;ein Weib &#x017F;einem Bruder. De&#x017F;&#x017F;elbigen<lb/>
gleichen der andere und der dritte, bis an den<lb/>
&#x017F;iebenden. Zuletzt nach allen &#x017F;tarb auch das Weib.<lb/>
Nun in der Aufer&#x017F;tehung, welches Weib wird<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;eyn unter den &#x017F;ieben? Sie haben &#x017F;ie ja alle<lb/>
gehabt. Je&#x017F;us aber antwortete und &#x017F;prach zu ih-<lb/>
nen: Ihr irret, und wi&#x017F;&#x017F;et die Schrift nicht, noch<lb/>
die Kraft Gottes. In der Aufer&#x017F;tehung werden<lb/>
&#x017F;ie nicht freyen, noch &#x017F;ich freyen la&#x017F;&#x017F;en. Son-<lb/>
dern &#x017F;ie &#x017F;ind gleich wie die Engel Gottes im Him-<lb/>
mel. Habt ihr aber nicht gele&#x017F;en von der Todten-<lb/>
aufer&#x017F;tehung, daß euch ge&#x017F;agt i&#x017F;t von Gott, der<lb/>
da &#x017F;pricht: Ich bin der Gott Abraham, der Gott<lb/>
I&#x017F;aak, und der Gott Jakobs. Gott aber i&#x017F;t nicht<lb/>
ein Gott der Todten, &#x017F;ondern der Lebendigen.<lb/>
Und da &#x017F;olches das Volk hörete, ent&#x017F;atzten &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich über &#x017F;eine Lehre.</hi> </p><lb/>
            <p>Mit den zwo gro&#x017F;&#x017F;en Hauptpartheyen der Men&#x017F;ch-<lb/>
heit &#x2014; den <hi rendition="#fr">Phari&#x017F;äi&#x017F;chen</hi> und <hi rendition="#fr">Sadduzäi&#x017F;chen</hi> Gei-<lb/>
&#x017F;tern &#x2014; hatte un&#x017F;er Herr &#x2014; hat jeder chri&#x017F;tliche Lehrer<lb/>
immer zu kämpfen &#x2014; wenn die eine ihn verläßt; So<lb/>
tritt &#x017F;ogleich die andre auf, Ihm verfängliche, &#x017F;pitzfindi-<lb/>
ge Fragen vorzulegen. Der Gei&#x017F;t der Spitzfindigkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">denkt</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340[360]/0368] Matthäus XXII. Und fragten Ihn, und ſprachen: Meiſter! Mo- ſes hat geſagt: So einer ſtirbt, und hat nicht Kinder, ſo ſoll ſein Bruder ſein Weib freyen, und ſeinem Bruder Saamen erwecken. Nun ſind bey Uns geweſen ſieben Brüder. Der erſte freyete und ſtarb: Und dieweil er nicht Saamen hatte, ließ er ſein Weib ſeinem Bruder. Deſſelbigen gleichen der andere und der dritte, bis an den ſiebenden. Zuletzt nach allen ſtarb auch das Weib. Nun in der Auferſtehung, welches Weib wird ſie ſeyn unter den ſieben? Sie haben ſie ja alle gehabt. Jeſus aber antwortete und ſprach zu ih- nen: Ihr irret, und wiſſet die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes. In der Auferſtehung werden ſie nicht freyen, noch ſich freyen laſſen. Son- dern ſie ſind gleich wie die Engel Gottes im Him- mel. Habt ihr aber nicht geleſen von der Todten- auferſtehung, daß euch geſagt iſt von Gott, der da ſpricht: Ich bin der Gott Abraham, der Gott Iſaak, und der Gott Jakobs. Gott aber iſt nicht ein Gott der Todten, ſondern der Lebendigen. Und da ſolches das Volk hörete, entſatzten ſie ſich über ſeine Lehre. Mit den zwo groſſen Hauptpartheyen der Menſch- heit — den Phariſäiſchen und Sadduzäiſchen Gei- ſtern — hatte unſer Herr — hat jeder chriſtliche Lehrer immer zu kämpfen — wenn die eine ihn verläßt; So tritt ſogleich die andre auf, Ihm verfängliche, ſpitzfindi- ge Fragen vorzulegen. Der Geiſt der Spitzfindigkeit denkt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/368
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 340[360]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/368>, abgerufen am 23.11.2024.