Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

che weiter keinen Theil an der Lyonschen Rebellion
genommen hatten, zur Guillotine abgeführt.

Sie erschienen beyde auf dem Blutgerüste, hiel-
ten sich fest umschlungen, und sagten sich ganz un-
befangen die zärtlichsten Dinge. Endlich riß die
junge schöne Frau sich los, und sagte zu ihrem Gat-
ten, der sie wieder umarmen wollte: hatons ce mo-
ment, mon ami; c'est pour nous rejoindre bientot!
*)
Sie legte sich sofort aufs Brett; und ihr Kopf flog
herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihr
die theuren Wangen seiner Freundin noch einmal
küssen zu lassen, und als dieses geschehen war,
übergab er sich mit der größten Gleichgültigkeit
den Händen des Henkers. Als der Guillotineur
beyde Köpfe dem Volke hinwies, schrie auch keine
Seele: "es lebe die Republik!" wie doch sonst
gewöhnlich ist: alle schauten, in stumpfen Schmerz
verlohren, vor sich hin, und bewiesen dadurch,
daß sie noch nicht alles Gefühl für Natur und
Menschlichkeit verlohren hatten. Diese Geschichte
war lange das Gespräch des Tages, und wurde
mit sehr humanen Glossen begleitet. Natur, rie-
fen Viele, edle, allmächtige Natur: was ist ge-
gen dich Kunst, Politik und Tod! --


*) Lassen wir diesen Augenblick beschleunigen, mein Freund, da-
mit wir bald wieder vereinigt werden.

che weiter keinen Theil an der Lyonſchen Rebellion
genommen hatten, zur Guillotine abgefuͤhrt.

Sie erſchienen beyde auf dem Blutgeruͤſte, hiel-
ten ſich feſt umſchlungen, und ſagten ſich ganz un-
befangen die zaͤrtlichſten Dinge. Endlich riß die
junge ſchoͤne Frau ſich los, und ſagte zu ihrem Gat-
ten, der ſie wieder umarmen wollte: hâtons ce mo-
ment, mon ami; c'eſt pour nous rejoindre bientôt!
*)
Sie legte ſich ſofort aufs Brett; und ihr Kopf flog
herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihr
die theuren Wangen ſeiner Freundin noch einmal
kuͤſſen zu laſſen, und als dieſes geſchehen war,
uͤbergab er ſich mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit
den Haͤnden des Henkers. Als der Guillotineur
beyde Koͤpfe dem Volke hinwies, ſchrie auch keine
Seele: „es lebe die Republik!“ wie doch ſonſt
gewoͤhnlich iſt: alle ſchauten, in ſtumpfen Schmerz
verlohren, vor ſich hin, und bewieſen dadurch,
daß ſie noch nicht alles Gefuͤhl fuͤr Natur und
Menſchlichkeit verlohren hatten. Dieſe Geſchichte
war lange das Geſpraͤch des Tages, und wurde
mit ſehr humanen Gloſſen begleitet. Natur, rie-
fen Viele, edle, allmaͤchtige Natur: was iſt ge-
gen dich Kunſt, Politik und Tod! —


*) Laſſen wir dieſen Augenblick beſchleunigen, mein Freund, da-
mit wir bald wieder vereinigt werden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0363" n="359"/>
che weiter keinen Theil an der Lyon&#x017F;chen Rebellion<lb/>
genommen hatten, zur Guillotine abgefu&#x0364;hrt.</p><lb/>
        <p>Sie er&#x017F;chienen beyde auf dem Blutgeru&#x0364;&#x017F;te, hiel-<lb/>
ten &#x017F;ich fe&#x017F;t um&#x017F;chlungen, und &#x017F;agten &#x017F;ich ganz un-<lb/>
befangen die za&#x0364;rtlich&#x017F;ten Dinge. Endlich riß die<lb/>
junge &#x017F;cho&#x0364;ne Frau &#x017F;ich los, und &#x017F;agte zu ihrem Gat-<lb/>
ten, der &#x017F;ie wieder umarmen wollte: <hi rendition="#aq">hâtons ce mo-<lb/>
ment, mon ami; c'e&#x017F;t pour nous rejoindre bientôt!</hi> <note place="foot" n="*)">La&#x017F;&#x017F;en wir die&#x017F;en Augenblick be&#x017F;chleunigen, mein Freund, da-<lb/>
mit wir bald wieder vereinigt werden.</note><lb/>
Sie legte &#x017F;ich &#x017F;ofort aufs Brett; und ihr Kopf flog<lb/>
herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihr<lb/>
die theuren Wangen &#x017F;einer Freundin noch einmal<lb/>
ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en, und als die&#x017F;es ge&#x017F;chehen war,<lb/>
u&#x0364;bergab er &#x017F;ich mit der gro&#x0364;ßten Gleichgu&#x0364;ltigkeit<lb/>
den Ha&#x0364;nden des Henkers. Als der Guillotineur<lb/>
beyde Ko&#x0364;pfe dem Volke hinwies, &#x017F;chrie auch keine<lb/>
Seele: &#x201E;es lebe die Republik!&#x201C; wie doch &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
gewo&#x0364;hnlich i&#x017F;t: alle &#x017F;chauten, in &#x017F;tumpfen Schmerz<lb/>
verlohren, vor &#x017F;ich hin, und bewie&#x017F;en dadurch,<lb/>
daß &#x017F;ie noch nicht alles Gefu&#x0364;hl fu&#x0364;r Natur und<lb/>
Men&#x017F;chlichkeit verlohren hatten. Die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte<lb/>
war lange das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch des Tages, und wurde<lb/>
mit &#x017F;ehr humanen Glo&#x017F;&#x017F;en begleitet. Natur, rie-<lb/>
fen Viele, edle, allma&#x0364;chtige Natur: was i&#x017F;t ge-<lb/>
gen dich Kun&#x017F;t, Politik und Tod! &#x2014;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0363] che weiter keinen Theil an der Lyonſchen Rebellion genommen hatten, zur Guillotine abgefuͤhrt. Sie erſchienen beyde auf dem Blutgeruͤſte, hiel- ten ſich feſt umſchlungen, und ſagten ſich ganz un- befangen die zaͤrtlichſten Dinge. Endlich riß die junge ſchoͤne Frau ſich los, und ſagte zu ihrem Gat- ten, der ſie wieder umarmen wollte: hâtons ce mo- ment, mon ami; c'eſt pour nous rejoindre bientôt! *) Sie legte ſich ſofort aufs Brett; und ihr Kopf flog herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihr die theuren Wangen ſeiner Freundin noch einmal kuͤſſen zu laſſen, und als dieſes geſchehen war, uͤbergab er ſich mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit den Haͤnden des Henkers. Als der Guillotineur beyde Koͤpfe dem Volke hinwies, ſchrie auch keine Seele: „es lebe die Republik!“ wie doch ſonſt gewoͤhnlich iſt: alle ſchauten, in ſtumpfen Schmerz verlohren, vor ſich hin, und bewieſen dadurch, daß ſie noch nicht alles Gefuͤhl fuͤr Natur und Menſchlichkeit verlohren hatten. Dieſe Geſchichte war lange das Geſpraͤch des Tages, und wurde mit ſehr humanen Gloſſen begleitet. Natur, rie- fen Viele, edle, allmaͤchtige Natur: was iſt ge- gen dich Kunſt, Politik und Tod! — *) Laſſen wir dieſen Augenblick beſchleunigen, mein Freund, da- mit wir bald wieder vereinigt werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/363
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/363>, abgerufen am 25.11.2024.