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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

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noch zu mir kommen, oder mich doch rufen lassen,
wenn seine überhäuften Geschäfte es nur erlaubten.

Ich erwartete dieses nicht, aber Abends um
acht Uhr wurde ich vom Hauptmann dahin beru-
fen, wo die Deserteurs waren, welche man hier von
den Gefangnen getrennt hatte, und siehe da, ich
fand den Prokurator Glocsin, der auch Doktor
der Medizin ist. Er war sehr freundlich, und wollte
gern wissen, wie seine Mutter mit mir verwandt ge-
wesen wäre. Ich konnte ihm weiter keine Aus-
kunft geben, als daß ihre ehemals noch ledige Schwe-
ster in unserm Hause Mamsell Cousine geheißen
hätte. -- Ich habe wirklich von jeher nichts we-
niger studirt, als die Genealogie meiner Freund-
schaft, und habe die, welche mir gefielen und mir
wohl thaten, immer lieber gehabt, als meine näch-
sten Verwandten. An meine Freunde denke ich
immer, aber an meinen Bruder, oft in einen Monat
nicht. -- Glocsin sagte zu mir: wir sind jezt
alle Vetter und Brüder, und du bist auch mein
Bruder, wenn du ein braver Mann bist! Er sprach
noch lange mit mir, erklärte mir verschiedene Ka-
pitel aus der neuen Einrichtung, die mir anstößig
schienen, und rieth mir, die Gesetze zu studieren,
und dann, wenn der Friede gemacht seyn würde,
zu ihm nach Colmar zu kommen: da könnte er viel-
leicht für mich sorgen. Sodann zog er seine Schreib-

noch zu mir kommen, oder mich doch rufen laſſen,
wenn ſeine uͤberhaͤuften Geſchaͤfte es nur erlaubten.

Ich erwartete dieſes nicht, aber Abends um
acht Uhr wurde ich vom Hauptmann dahin beru-
fen, wo die Deſerteurs waren, welche man hier von
den Gefangnen getrennt hatte, und ſiehe da, ich
fand den Prokurator Glocſin, der auch Doktor
der Medizin iſt. Er war ſehr freundlich, und wollte
gern wiſſen, wie ſeine Mutter mit mir verwandt ge-
weſen waͤre. Ich konnte ihm weiter keine Aus-
kunft geben, als daß ihre ehemals noch ledige Schwe-
ſter in unſerm Hauſe Mamſell Couſine geheißen
haͤtte. — Ich habe wirklich von jeher nichts we-
niger ſtudirt, als die Genealogie meiner Freund-
ſchaft, und habe die, welche mir gefielen und mir
wohl thaten, immer lieber gehabt, als meine naͤch-
ſten Verwandten. An meine Freunde denke ich
immer, aber an meinen Bruder, oft in einen Monat
nicht. — Glocſin ſagte zu mir: wir ſind jezt
alle Vetter und Bruͤder, und du biſt auch mein
Bruder, wenn du ein braver Mann biſt! Er ſprach
noch lange mit mir, erklaͤrte mir verſchiedene Ka-
pitel aus der neuen Einrichtung, die mir anſtoͤßig
ſchienen, und rieth mir, die Geſetze zu ſtudieren,
und dann, wenn der Friede gemacht ſeyn wuͤrde,
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[312/0316] noch zu mir kommen, oder mich doch rufen laſſen, wenn ſeine uͤberhaͤuften Geſchaͤfte es nur erlaubten. Ich erwartete dieſes nicht, aber Abends um acht Uhr wurde ich vom Hauptmann dahin beru- fen, wo die Deſerteurs waren, welche man hier von den Gefangnen getrennt hatte, und ſiehe da, ich fand den Prokurator Glocſin, der auch Doktor der Medizin iſt. Er war ſehr freundlich, und wollte gern wiſſen, wie ſeine Mutter mit mir verwandt ge- weſen waͤre. Ich konnte ihm weiter keine Aus- kunft geben, als daß ihre ehemals noch ledige Schwe- ſter in unſerm Hauſe Mamſell Couſine geheißen haͤtte. — Ich habe wirklich von jeher nichts we- niger ſtudirt, als die Genealogie meiner Freund- ſchaft, und habe die, welche mir gefielen und mir wohl thaten, immer lieber gehabt, als meine naͤch- ſten Verwandten. An meine Freunde denke ich immer, aber an meinen Bruder, oft in einen Monat nicht. — Glocſin ſagte zu mir: wir ſind jezt alle Vetter und Bruͤder, und du biſt auch mein Bruder, wenn du ein braver Mann biſt! Er ſprach noch lange mit mir, erklaͤrte mir verſchiedene Ka- pitel aus der neuen Einrichtung, die mir anſtoͤßig ſchienen, und rieth mir, die Geſetze zu ſtudieren, und dann, wenn der Friede gemacht ſeyn wuͤrde, zu ihm nach Colmar zu kommen: da koͤnnte er viel- leicht fuͤr mich ſorgen. Sodann zog er ſeine Schreib-

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/316>, abgerufen am 18.05.2024.