Seit jener Zeit, das ist, seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, hat nun diese h. Hostie gar viele neue Wunder gewirkt, und man hat aus ganz Frankreich Wallfahrten zu ihr angestellt. Sie hatte ihre ganz eignen Kanonikos. Im Jahr 1794, im April, wurde aber Kapelle und Altar zerstöhrt, und die h. Hostie in eine glühende Kohlpfanne ge- worfen, wo sie auch verbrannt ist, ohne irgend ein Zeichen ihrer ehemaligen göttlichen Allmacht. Bey dieser Exekution erwarteten freilich alle fromme Dijoner eine Rettung des weltberühmten Heilig- thums durch ein Wunder. Aber -- als kein Wun- der erfolgte, und die arme Hostie sich ganz gedul- dig zernichten ließ, fingen auch solche über die Re- liquien an zu räsonniren, welche vorher ihr Leben dafür gegeben hätten.
Der Sturz der christlichen Religion in Frank- reich zog auch den der jüdischen nach sich: die Sy- nagogen wurden verboten, und eben so, wie die christlichen Kirchen zugeschlossen. Auch hat das Judenthum drey Märtyrer gehabt, welche eher sterben, als den Schabes u. dgleichen aufgeben wollten. Aber die vernünftigern Juden, deren es hier und da auch in Frankreich giebt, ließen sich die neue Einrichtung gefallen, arbeiteten am Scha- bes, ließen ihren Knaben die Vorhaut, aßen Schwei- nefleisch und zogen mit zu Felde. Man muß in-
Seit jener Zeit, das iſt, ſeit der Mitte des fuͤnfzehnten Jahrhunderts, hat nun dieſe h. Hoſtie gar viele neue Wunder gewirkt, und man hat aus ganz Frankreich Wallfahrten zu ihr angeſtellt. Sie hatte ihre ganz eignen Kanonikos. Im Jahr 1794, im April, wurde aber Kapelle und Altar zerſtoͤhrt, und die h. Hoſtie in eine gluͤhende Kohlpfanne ge- worfen, wo ſie auch verbrannt iſt, ohne irgend ein Zeichen ihrer ehemaligen goͤttlichen Allmacht. Bey dieſer Exekution erwarteten freilich alle fromme Dijoner eine Rettung des weltberuͤhmten Heilig- thums durch ein Wunder. Aber — als kein Wun- der erfolgte, und die arme Hoſtie ſich ganz gedul- dig zernichten ließ, fingen auch ſolche uͤber die Re- liquien an zu raͤſonniren, welche vorher ihr Leben dafuͤr gegeben haͤtten.
Der Sturz der chriſtlichen Religion in Frank- reich zog auch den der juͤdiſchen nach ſich: die Sy- nagogen wurden verboten, und eben ſo, wie die chriſtlichen Kirchen zugeſchloſſen. Auch hat das Judenthum drey Maͤrtyrer gehabt, welche eher ſterben, als den Schabes u. dgleichen aufgeben wollten. Aber die vernuͤnftigern Juden, deren es hier und da auch in Frankreich giebt, ließen ſich die neue Einrichtung gefallen, arbeiteten am Scha- bes, ließen ihren Knaben die Vorhaut, aßen Schwei- nefleiſch und zogen mit zu Felde. Man muß in-
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Seit jener Zeit, das iſt, ſeit der Mitte des
fuͤnfzehnten Jahrhunderts, hat nun dieſe h. Hoſtie
gar viele neue Wunder gewirkt, und man hat aus
ganz Frankreich Wallfahrten zu ihr angeſtellt. Sie
hatte ihre ganz eignen Kanonikos. Im Jahr 1794,
im April, wurde aber Kapelle und Altar zerſtoͤhrt,
und die h. Hoſtie in eine gluͤhende Kohlpfanne ge-
worfen, wo ſie auch verbrannt iſt, ohne irgend
ein Zeichen ihrer ehemaligen goͤttlichen Allmacht.
Bey dieſer Exekution erwarteten freilich alle fromme
Dijoner eine Rettung des weltberuͤhmten Heilig-
thums durch ein Wunder. Aber — als kein Wun-
der erfolgte, und die arme Hoſtie ſich ganz gedul-
dig zernichten ließ, fingen auch ſolche uͤber die Re-
liquien an zu raͤſonniren, welche vorher ihr Leben
dafuͤr gegeben haͤtten.
Der Sturz der chriſtlichen Religion in Frank-
reich zog auch den der juͤdiſchen nach ſich: die Sy-
nagogen wurden verboten, und eben ſo, wie die
chriſtlichen Kirchen zugeſchloſſen. Auch hat das
Judenthum drey Maͤrtyrer gehabt, welche eher
ſterben, als den Schabes u. dgleichen aufgeben
wollten. Aber die vernuͤnftigern Juden, deren es
hier und da auch in Frankreich giebt, ließen ſich
die neue Einrichtung gefallen, arbeiteten am Scha-
bes, ließen ihren Knaben die Vorhaut, aßen Schwei-
nefleiſch und zogen mit zu Felde. Man muß in-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/276>, abgerufen am 22.11.2024.
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