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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

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von Büchern, die sich in den Lehren von der ver-
meynten größten Wichtigkeit, z.B. der Recht-
fertigung, der Gnadenwahl, der Person Jesu u.
s. w. nicht nur gewaltig widersprechen, sondern
auch so unbestimmt und dunkel geschrieben sind,
daß jeder seine Lehre darin finden kann, wie denn
Katholiken, Reformirte, Lutheraner, Socinianer,
Anapaptisten, kurz, alle christlichen Sektirer der
ältern und neuern Zeit ihre Lehren darin gefunden
und daraus bewiesen haben.

Diese Beschaffenheit der Bibel ist den Katholi-
ken so einleuchtend, daß sie eben darum glauben,
sich an die untrügliche Aussage eines unfehlbaren
Richters, des Papstes oder der Kirche, in Glau-
benssachen halten zu müssen. Wenn also der Con-
vent dem Papste und der Kirche entsagte, so ent-
sagte das Volk der Bibel; und so war der Meister-
streich fertig, daß forthin blos die Vernunft und
der bestätigte Wille der Nation das Ruder auch im
Kirchenwesen führen sollte.

Für einen, der in den neuern Zeiten nicht selbst
in Frankreich gewesen ist, oder der den Glauben
des großen Haufens für etwas mehr als ein ober-
flächlich übertünchtes Phantasie-Gemählde hält,
ist es freilich schwer zu begreifen, daß ein sonst so
erzkatholisches Volk, wie die Franzosen im Durch-
schnitt waren, sich diese gewaltsamen Eingriffe so-

von Buͤchern, die ſich in den Lehren von der ver-
meynten groͤßten Wichtigkeit, z.B. der Recht-
fertigung, der Gnadenwahl, der Perſon Jeſu u.
ſ. w. nicht nur gewaltig widerſprechen, ſondern
auch ſo unbeſtimmt und dunkel geſchrieben ſind,
daß jeder ſeine Lehre darin finden kann, wie denn
Katholiken, Reformirte, Lutheraner, Socinianer,
Anapaptiſten, kurz, alle chriſtlichen Sektirer der
aͤltern und neuern Zeit ihre Lehren darin gefunden
und daraus bewieſen haben.

Dieſe Beſchaffenheit der Bibel iſt den Katholi-
ken ſo einleuchtend, daß ſie eben darum glauben,
ſich an die untruͤgliche Ausſage eines unfehlbaren
Richters, des Papſtes oder der Kirche, in Glau-
bensſachen halten zu muͤſſen. Wenn alſo der Con-
vent dem Papſte und der Kirche entſagte, ſo ent-
ſagte das Volk der Bibel; und ſo war der Meiſter-
ſtreich fertig, daß forthin blos die Vernunft und
der beſtaͤtigte Wille der Nation das Ruder auch im
Kirchenweſen fuͤhren ſollte.

Fuͤr einen, der in den neuern Zeiten nicht ſelbſt
in Frankreich geweſen iſt, oder der den Glauben
des großen Haufens fuͤr etwas mehr als ein ober-
flaͤchlich uͤbertuͤnchtes Phantaſie-Gemaͤhlde haͤlt,
iſt es freilich ſchwer zu begreifen, daß ein ſonſt ſo
erzkatholiſches Volk, wie die Franzoſen im Durch-
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[244/0248] von Buͤchern, die ſich in den Lehren von der ver- meynten groͤßten Wichtigkeit, z.B. der Recht- fertigung, der Gnadenwahl, der Perſon Jeſu u. ſ. w. nicht nur gewaltig widerſprechen, ſondern auch ſo unbeſtimmt und dunkel geſchrieben ſind, daß jeder ſeine Lehre darin finden kann, wie denn Katholiken, Reformirte, Lutheraner, Socinianer, Anapaptiſten, kurz, alle chriſtlichen Sektirer der aͤltern und neuern Zeit ihre Lehren darin gefunden und daraus bewieſen haben. Dieſe Beſchaffenheit der Bibel iſt den Katholi- ken ſo einleuchtend, daß ſie eben darum glauben, ſich an die untruͤgliche Ausſage eines unfehlbaren Richters, des Papſtes oder der Kirche, in Glau- bensſachen halten zu muͤſſen. Wenn alſo der Con- vent dem Papſte und der Kirche entſagte, ſo ent- ſagte das Volk der Bibel; und ſo war der Meiſter- ſtreich fertig, daß forthin blos die Vernunft und der beſtaͤtigte Wille der Nation das Ruder auch im Kirchenweſen fuͤhren ſollte. Fuͤr einen, der in den neuern Zeiten nicht ſelbſt in Frankreich geweſen iſt, oder der den Glauben des großen Haufens fuͤr etwas mehr als ein ober- flaͤchlich uͤbertuͤnchtes Phantaſie-Gemaͤhlde haͤlt, iſt es freilich ſchwer zu begreifen, daß ein ſonſt ſo erzkatholiſches Volk, wie die Franzoſen im Durch- ſchnitt waren, ſich dieſe gewaltſamen Eingriffe ſo-

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/248>, abgerufen am 08.05.2024.