chung, ohne Verhör, ohne Vertheidigung ist keine Gerechtigkeit möglich: ohne Untersuchung, ohne Urtheil leiden, ist nicht gerecht leiden. Dem Schul- digen kann die Gerechtigkeit seine erduldeten Qualen an der Strafe zu gut rechnen; aber wie will sie den Unschuldigen für die Plagen der Gefangen- schaft, für den Verlust des Vermögens und der Nahrung, für den noch größern Verlust der Ge- sundheit und für alle namenlose Leiden seiner gan- zen Familie entschädigen?" -- So schrieen sie; aber die Oberpfaffen am Rhein blieben taub!
Und nun wundern Sie sich gewiß nicht mehr, meine Leser, daß die Franzosen, nachdem sie zu Ende des Jahres 1793 und im Anfange 1794 die Deutschen zurückgejagt, und die Rheinländer wie- der in Besitz genommen hatten, nun auch raubten; plünderten und die aristokratischen Einwohner mis- handelten. Man darf nur glauben, daß die Fran- zosen von dem unmenschlichen Verfahren der Deut- schen gegen die Vertheidiger und Anhänger des Freyheitssystems genau unterrichtet waren, und dadurch äußerst aufgebracht so verfuhren. Nun frägt sichs, wer denn hauptsächlich an dem Un- glücke Schuld war; und die Antwort ist nicht schwer. Im Kriege -- ich wiederhole es -- ist nichts mehr zu empfehlen, als ein vernünftiges Betragen gegen den Feind, und dessen Anhänger.
chung, ohne Verhoͤr, ohne Vertheidigung iſt keine Gerechtigkeit moͤglich: ohne Unterſuchung, ohne Urtheil leiden, iſt nicht gerecht leiden. Dem Schul- digen kann die Gerechtigkeit ſeine erduldeten Qualen an der Strafe zu gut rechnen; aber wie will ſie den Unſchuldigen fuͤr die Plagen der Gefangen- ſchaft, fuͤr den Verluſt des Vermoͤgens und der Nahrung, fuͤr den noch groͤßern Verluſt der Ge- ſundheit und fuͤr alle namenloſe Leiden ſeiner gan- zen Familie entſchaͤdigen?“ — So ſchrieen ſie; aber die Oberpfaffen am Rhein blieben taub!
Und nun wundern Sie ſich gewiß nicht mehr, meine Leſer, daß die Franzoſen, nachdem ſie zu Ende des Jahres 1793 und im Anfange 1794 die Deutſchen zuruͤckgejagt, und die Rheinlaͤnder wie- der in Beſitz genommen hatten, nun auch raubten; pluͤnderten und die ariſtokratiſchen Einwohner mis- handelten. Man darf nur glauben, daß die Fran- zoſen von dem unmenſchlichen Verfahren der Deut- ſchen gegen die Vertheidiger und Anhaͤnger des Freyheitsſyſtems genau unterrichtet waren, und dadurch aͤußerſt aufgebracht ſo verfuhren. Nun fraͤgt ſichs, wer denn hauptſaͤchlich an dem Un- gluͤcke Schuld war; und die Antwort iſt nicht ſchwer. Im Kriege — ich wiederhole es — iſt nichts mehr zu empfehlen, als ein vernuͤnftiges Betragen gegen den Feind, und deſſen Anhaͤnger.
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chung, ohne Verhoͤr, ohne Vertheidigung iſt keine
Gerechtigkeit moͤglich: ohne Unterſuchung, ohne
Urtheil leiden, iſt nicht gerecht leiden. Dem Schul-
digen kann die Gerechtigkeit ſeine erduldeten Qualen
an der Strafe zu gut rechnen; aber wie will ſie
den Unſchuldigen fuͤr die Plagen der Gefangen-
ſchaft, fuͤr den Verluſt des Vermoͤgens und der
Nahrung, fuͤr den noch groͤßern Verluſt der Ge-
ſundheit und fuͤr alle namenloſe Leiden ſeiner gan-
zen Familie entſchaͤdigen?“ — So ſchrieen ſie;
aber die Oberpfaffen am Rhein blieben taub!
Und nun wundern Sie ſich gewiß nicht mehr,
meine Leſer, daß die Franzoſen, nachdem ſie zu
Ende des Jahres 1793 und im Anfange 1794 die
Deutſchen zuruͤckgejagt, und die Rheinlaͤnder wie-
der in Beſitz genommen hatten, nun auch raubten;
pluͤnderten und die ariſtokratiſchen Einwohner mis-
handelten. Man darf nur glauben, daß die Fran-
zoſen von dem unmenſchlichen Verfahren der Deut-
ſchen gegen die Vertheidiger und Anhaͤnger des
Freyheitsſyſtems genau unterrichtet waren, und
dadurch aͤußerſt aufgebracht ſo verfuhren. Nun
fraͤgt ſichs, wer denn hauptſaͤchlich an dem Un-
gluͤcke Schuld war; und die Antwort iſt nicht
ſchwer. Im Kriege — ich wiederhole es — iſt
nichts mehr zu empfehlen, als ein vernuͤnftiges
Betragen gegen den Feind, und deſſen Anhaͤnger.
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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