unbefleckte Jungfrau, und ihre Himmelfahrt. Allein ich fand auf eine sehr angenehme Art, daß ich hierin geirrt hatte. Der junge Geistliche sprach kein Wort von der allerseligsten Jungfrau, sondern hielt mit vielem Anstand und Beredsamkeit eine Pre- digt über die Trostgründe, welche der Leidende aus der Hoffnung eines künftigen bessern Lebens schöpfen könnte. Er schränkte sich blos auf die Unglückli- chen ein: denn die Glücklichen, sagte er, sehnen sich nach dem Ziele ihres Daseyns nicht, und be- wies, daß dem mancher Trostgrund fehlen müßte, welcher an der Unsterblichkeit seiner Seele, und an dem künftigen Leben zweifelte. Ich muß gestehen, daß der Mann seine Sachen recht schön machte; und dieses Bekenntniß von meiner Seite muß um so unpartheiischer scheinen, da ich schon seit langer Zeit Gründe zu haben glaube, auf alles Ultra- mundanische nicht so recht zu rechnen, und das Meiste davon der Ungenügsamkeit der Menschen, und ihrer kaufmännischspielenden Phantasie zuzu- schreiben.
Nach der Kirche gieng ich ins Weinhaus, wo mehrere Bürger sich versammelten. Ich rühmte hier den Hn. Kaplan öffentlich, fand aber, daß die Leute nicht sehr mit ihm zufrieden waren, und hörte, daß sein Herr Pfarrer ihm gar nicht gün- stig sey. Den Bauren predigte der Mann nichts
unbefleckte Jungfrau, und ihre Himmelfahrt. Allein ich fand auf eine ſehr angenehme Art, daß ich hierin geirrt hatte. Der junge Geiſtliche ſprach kein Wort von der allerſeligſten Jungfrau, ſondern hielt mit vielem Anſtand und Beredſamkeit eine Pre- digt uͤber die Troſtgruͤnde, welche der Leidende aus der Hoffnung eines kuͤnftigen beſſern Lebens ſchoͤpfen koͤnnte. Er ſchraͤnkte ſich blos auf die Ungluͤckli- chen ein: denn die Gluͤcklichen, ſagte er, ſehnen ſich nach dem Ziele ihres Daſeyns nicht, und be- wies, daß dem mancher Troſtgrund fehlen muͤßte, welcher an der Unſterblichkeit ſeiner Seele, und an dem kuͤnftigen Leben zweifelte. Ich muß geſtehen, daß der Mann ſeine Sachen recht ſchoͤn machte; und dieſes Bekenntniß von meiner Seite muß um ſo unpartheiiſcher ſcheinen, da ich ſchon ſeit langer Zeit Gruͤnde zu haben glaube, auf alles Ultra- mundaniſche nicht ſo recht zu rechnen, und das Meiſte davon der Ungenuͤgſamkeit der Menſchen, und ihrer kaufmaͤnniſchſpielenden Phantaſie zuzu- ſchreiben.
Nach der Kirche gieng ich ins Weinhaus, wo mehrere Buͤrger ſich verſammelten. Ich ruͤhmte hier den Hn. Kaplan oͤffentlich, fand aber, daß die Leute nicht ſehr mit ihm zufrieden waren, und hoͤrte, daß ſein Herr Pfarrer ihm gar nicht guͤn- ſtig ſey. Den Bauren predigte der Mann nichts
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unbefleckte Jungfrau, und ihre Himmelfahrt.
Allein ich fand auf eine ſehr angenehme Art, daß
ich hierin geirrt hatte. Der junge Geiſtliche ſprach
kein Wort von der allerſeligſten Jungfrau, ſondern
hielt mit vielem Anſtand und Beredſamkeit eine Pre-
digt uͤber die Troſtgruͤnde, welche der Leidende aus
der Hoffnung eines kuͤnftigen beſſern Lebens ſchoͤpfen
koͤnnte. Er ſchraͤnkte ſich blos auf die Ungluͤckli-
chen ein: denn die Gluͤcklichen, ſagte er, ſehnen
ſich nach dem Ziele ihres Daſeyns nicht, und be-
wies, daß dem mancher Troſtgrund fehlen muͤßte,
welcher an der Unſterblichkeit ſeiner Seele, und an
dem kuͤnftigen Leben zweifelte. Ich muß geſtehen,
daß der Mann ſeine Sachen recht ſchoͤn machte;
und dieſes Bekenntniß von meiner Seite muß um
ſo unpartheiiſcher ſcheinen, da ich ſchon ſeit langer
Zeit Gruͤnde zu haben glaube, auf alles Ultra-
mundaniſche nicht ſo recht zu rechnen, und das
Meiſte davon der Ungenuͤgſamkeit der Menſchen,
und ihrer kaufmaͤnniſchſpielenden Phantaſie zuzu-
ſchreiben.
Nach der Kirche gieng ich ins Weinhaus, wo
mehrere Buͤrger ſich verſammelten. Ich ruͤhmte
hier den Hn. Kaplan oͤffentlich, fand aber, daß
die Leute nicht ſehr mit ihm zufrieden waren, und
hoͤrte, daß ſein Herr Pfarrer ihm gar nicht guͤn-
ſtig ſey. Den Bauren predigte der Mann nichts
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/453>, abgerufen am 22.11.2024.
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