Hier sah ich ein gräßliches Schauspiel. Der Packknecht des Hn. Leutnants von Baschwitz war vor Mattigkeit in einen Weinberg gekrochen, und dort eingeschlafen. Ein Offizier vom Regimente Woldeck ritt eben auch da durch, und sein Pferd trat dem armen Kerl auf die Brust, daß ihm das Blut zum Munde herausquoll. Wahrscheinlich hatte der Offizier diesen Unfall nicht bemerket. Der Packknecht wurde unter unaufhörlichem Jammern eine Strecke vorwärts getragen, um ihm Hülfe zu schaffen; aber vergebens: es fehlte an Wagen, worauf man Kranke hätte legen können. Man sezte ihn also ab, und ließ ihn ohnweit dem Wege liegen, wo er wahrscheinlich gestorben ist; wenig- stens hat man ihn nicht mehr gesehen.
Ein anderes Unglück traf auf demselben Marsche einen Artilleristen, dem beyde Beine durch das Umwerfen einer Kanone zerschmettert wurden: auch dieser ist im Kothe liegen blieben, und gestorben. --
Den Tag nach diesem scheußlichen Marsche war Ruhetag: man mußte nämlich Halt machen, um den zurückgebliebnen Leuten Zeit zu lassen, sich wie- der zu sammeln. Hier sah man das erste Mal Viele ohne Gewehr und Patrontasche ankommen. Die armen Leute hatten schon vollauf Mühe, nur ihren Körper fortzuschleppen, warfen also die Waffen weg, unter deren Last sie sonst hätten erliegen müs-
Hier ſah ich ein graͤßliches Schauſpiel. Der Packknecht des Hn. Leutnants von Baſchwitz war vor Mattigkeit in einen Weinberg gekrochen, und dort eingeſchlafen. Ein Offizier vom Regimente Woldeck ritt eben auch da durch, und ſein Pferd trat dem armen Kerl auf die Bruſt, daß ihm das Blut zum Munde herausquoll. Wahrſcheinlich hatte der Offizier dieſen Unfall nicht bemerket. Der Packknecht wurde unter unaufhoͤrlichem Jammern eine Strecke vorwaͤrts getragen, um ihm Huͤlfe zu ſchaffen; aber vergebens: es fehlte an Wagen, worauf man Kranke haͤtte legen koͤnnen. Man ſezte ihn alſo ab, und ließ ihn ohnweit dem Wege liegen, wo er wahrſcheinlich geſtorben iſt; wenig- ſtens hat man ihn nicht mehr geſehen.
Ein anderes Ungluͤck traf auf demſelben Marſche einen Artilleriſten, dem beyde Beine durch das Umwerfen einer Kanone zerſchmettert wurden: auch dieſer iſt im Kothe liegen blieben, und geſtorben. —
Den Tag nach dieſem ſcheußlichen Marſche war Ruhetag: man mußte naͤmlich Halt machen, um den zuruͤckgebliebnen Leuten Zeit zu laſſen, ſich wie- der zu ſammeln. Hier ſah man das erſte Mal Viele ohne Gewehr und Patrontaſche ankommen. Die armen Leute hatten ſchon vollauf Muͤhe, nur ihren Koͤrper fortzuſchleppen, warfen alſo die Waffen weg, unter deren Laſt ſie ſonſt haͤtten erliegen muͤſ-
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Hier ſah ich ein graͤßliches Schauſpiel. Der
Packknecht des Hn. Leutnants von Baſchwitz
war vor Mattigkeit in einen Weinberg gekrochen,
und dort eingeſchlafen. Ein Offizier vom Regimente
Woldeck ritt eben auch da durch, und ſein Pferd
trat dem armen Kerl auf die Bruſt, daß ihm das
Blut zum Munde herausquoll. Wahrſcheinlich
hatte der Offizier dieſen Unfall nicht bemerket. Der
Packknecht wurde unter unaufhoͤrlichem Jammern
eine Strecke vorwaͤrts getragen, um ihm Huͤlfe zu
ſchaffen; aber vergebens: es fehlte an Wagen,
worauf man Kranke haͤtte legen koͤnnen. Man
ſezte ihn alſo ab, und ließ ihn ohnweit dem Wege
liegen, wo er wahrſcheinlich geſtorben iſt; wenig-
ſtens hat man ihn nicht mehr geſehen.
Ein anderes Ungluͤck traf auf demſelben Marſche
einen Artilleriſten, dem beyde Beine durch das
Umwerfen einer Kanone zerſchmettert wurden: auch
dieſer iſt im Kothe liegen blieben, und geſtorben. —
Den Tag nach dieſem ſcheußlichen Marſche war
Ruhetag: man mußte naͤmlich Halt machen, um
den zuruͤckgebliebnen Leuten Zeit zu laſſen, ſich wie-
der zu ſammeln. Hier ſah man das erſte Mal Viele
ohne Gewehr und Patrontaſche ankommen. Die
armen Leute hatten ſchon vollauf Muͤhe, nur ihren
Koͤrper fortzuſchleppen, warfen alſo die Waffen
weg, unter deren Laſt ſie ſonſt haͤtten erliegen muͤſ-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/203>, abgerufen am 24.11.2024.
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