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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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mit Studenten und deutschen Schülern, machten
mir diese Lectionen gar zum Eckel. Allein ich mußte
mich fügen.

Während dieses Kollegiums trug mir einer mei-
ner Bekannten auf, einige Tage in seiner Abwesen-
heit, für ihn in der ersten Mädchen-Klasse zu vika-
riren, oder statt seiner das Kompendium über die
Dogmatik von Anastasius Freilingshausen, dem Va-
ter des damaligen Direktors, zu erklären. Ich ging
ohne Vorbereitung in die Klasse und fand, daß ich
den Kindern ein Stück aus dem lieblichen Artikel
von der Rechtfertigung vortragen sollte. Ich war
lange mit den Fratzen bekannt, welche die Theologen,
seit Augustins und besonders seit Anselmus Zeiten,
über diesen Artikel verbreitet hatten, und nahm mir
vor, meinen Unterricht auf folgende Sätze einzu-
schränken: der Christ wird durch die Religion Jesu,
d. h. durch die Befolgung seiner Sittenlehre, ge-
recht und selig. Christus hat sich auf mehr als eine
Art um das Juden- und Menschengeschlecht ver-
dient gemacht; sein vornehmstes Verdienst aber be-
steht darin, daß er den Willen seines und unsers
himmlischen Vaters, besser als sonst irgend ein Pro-
phet, geoffenbaret hat. Wer ihn also für einen gött-
lichen Propheten hält und alles glaubt und ausübt,
was er gelehrt hat, ist ein gerechtfertigter Christ
und wird selig.


mit Studenten und deutſchen Schuͤlern, machten
mir dieſe Lectionen gar zum Eckel. Allein ich mußte
mich fuͤgen.

Waͤhrend dieſes Kollegiums trug mir einer mei-
ner Bekannten auf, einige Tage in ſeiner Abweſen-
heit, fuͤr ihn in der erſten Maͤdchen-Klaſſe zu vika-
riren, oder ſtatt ſeiner das Kompendium uͤber die
Dogmatik von Anaſtaſius Freilingshauſen, dem Va-
ter des damaligen Direktors, zu erklaͤren. Ich ging
ohne Vorbereitung in die Klaſſe und fand, daß ich
den Kindern ein Stuͤck aus dem lieblichen Artikel
von der Rechtfertigung vortragen ſollte. Ich war
lange mit den Fratzen bekannt, welche die Theologen,
ſeit Auguſtins und beſonders ſeit Anſelmus Zeiten,
uͤber dieſen Artikel verbreitet hatten, und nahm mir
vor, meinen Unterricht auf folgende Saͤtze einzu-
ſchraͤnken: der Chriſt wird durch die Religion Jeſu,
d. h. durch die Befolgung ſeiner Sittenlehre, ge-
recht und ſelig. Chriſtus hat ſich auf mehr als eine
Art um das Juden- und Menſchengeſchlecht ver-
dient gemacht; ſein vornehmſtes Verdienſt aber be-
ſteht darin, daß er den Willen ſeines und unſers
himmliſchen Vaters, beſſer als ſonſt irgend ein Pro-
phet, geoffenbaret hat. Wer ihn alſo fuͤr einen goͤtt-
lichen Propheten haͤlt und alles glaubt und ausuͤbt,
was er gelehrt hat, iſt ein gerechtfertigter Chriſt
und wird ſelig.


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[94/0096] mit Studenten und deutſchen Schuͤlern, machten mir dieſe Lectionen gar zum Eckel. Allein ich mußte mich fuͤgen. Waͤhrend dieſes Kollegiums trug mir einer mei- ner Bekannten auf, einige Tage in ſeiner Abweſen- heit, fuͤr ihn in der erſten Maͤdchen-Klaſſe zu vika- riren, oder ſtatt ſeiner das Kompendium uͤber die Dogmatik von Anaſtaſius Freilingshauſen, dem Va- ter des damaligen Direktors, zu erklaͤren. Ich ging ohne Vorbereitung in die Klaſſe und fand, daß ich den Kindern ein Stuͤck aus dem lieblichen Artikel von der Rechtfertigung vortragen ſollte. Ich war lange mit den Fratzen bekannt, welche die Theologen, ſeit Auguſtins und beſonders ſeit Anſelmus Zeiten, uͤber dieſen Artikel verbreitet hatten, und nahm mir vor, meinen Unterricht auf folgende Saͤtze einzu- ſchraͤnken: der Chriſt wird durch die Religion Jeſu, d. h. durch die Befolgung ſeiner Sittenlehre, ge- recht und ſelig. Chriſtus hat ſich auf mehr als eine Art um das Juden- und Menſchengeſchlecht ver- dient gemacht; ſein vornehmſtes Verdienſt aber be- ſteht darin, daß er den Willen ſeines und unſers himmliſchen Vaters, beſſer als ſonſt irgend ein Pro- phet, geoffenbaret hat. Wer ihn alſo fuͤr einen goͤtt- lichen Propheten haͤlt und alles glaubt und ausuͤbt, was er gelehrt hat, iſt ein gerechtfertigter Chriſt und wird ſelig.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/96>, abgerufen am 24.11.2024.