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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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Die Edelleute in Schlesien sind also sehr or-
thodox, so wie die geistlichen; und ich erinnere mich
noch recht genau, im Jahr 1786 hier in Halle einem
gewissen Herrn von Frankenberg Stunden gege-
ben zu haben, dem sein Vater ausdrücklich befahl,
und dies mehr als einmal: ein Collegium über die
Dogmatik und eins über die theologische Moral zu
hören, aber ja bei Herrn D. Nösselt: und doch
war Frankenbergs Hauptstudium -- Juristerei! Herr
D. Nösselt ist das Orakel der Schlesier; und wer
einen Sohn nach Halle schickt, der empfiehlt demsel-
ben, wenigstens die Dogmatik bei ihm zu hören:
der habe doch noch Dreifaltigkeit und eine Genug-
thuung Jesu -- wie wenn Herr D. Nösselt nicht
Einsicht und Geschicke genug hätte, die Dinge so
vorzutragen, daß der Buchstaben-Theologe Buch-
staben, und der geistige, Geist daraus nehmen könnte.
Wer Ohren hat zu hören, der höre, und wer
Kopf hat zu fassen, der fasse! Und wenn das je-
suitisch ist, dann war auch Christus Jesuit. -- Der
gute ehrliche Semler stand bei diesen Leuten in sehr
üblem Ruf. Der hätte sich sogar in seinem Werke
über den Canon selbst am Worte des Lebens ver-
griffen! Herr D. Knapp passirte so halb und halb.
Aber niemand ist in Schlesien berüchtigter als der
arme Bahrdt: den kannten und verfluchten sogar die
gemeinen Leute aus den christlich-milden Schilde-

Die Edelleute in Schleſien ſind alſo ſehr or-
thodox, ſo wie die geiſtlichen; und ich erinnere mich
noch recht genau, im Jahr 1786 hier in Halle einem
gewiſſen Herrn von Frankenberg Stunden gege-
ben zu haben, dem ſein Vater ausdruͤcklich befahl,
und dies mehr als einmal: ein Collegium uͤber die
Dogmatik und eins uͤber die theologiſche Moral zu
hoͤren, aber ja bei Herrn D. Noͤſſelt: und doch
war Frankenbergs Hauptſtudium — Juriſterei! Herr
D. Noͤſſelt iſt das Orakel der Schleſier; und wer
einen Sohn nach Halle ſchickt, der empfiehlt demſel-
ben, wenigſtens die Dogmatik bei ihm zu hoͤren:
der habe doch noch Dreifaltigkeit und eine Genug-
thuung Jeſu — wie wenn Herr D. Noͤſſelt nicht
Einſicht und Geſchicke genug haͤtte, die Dinge ſo
vorzutragen, daß der Buchſtaben-Theologe Buch-
ſtaben, und der geiſtige, Geiſt daraus nehmen koͤnnte.
Wer Ohren hat zu hoͤren, der hoͤre, und wer
Kopf hat zu faſſen, der faſſe! Und wenn das je-
ſuitiſch iſt, dann war auch Chriſtus Jeſuit. — Der
gute ehrliche Semler ſtand bei dieſen Leuten in ſehr
uͤblem Ruf. Der haͤtte ſich ſogar in ſeinem Werke
uͤber den Canon ſelbſt am Worte des Lebens ver-
griffen! Herr D. Knapp paſſirte ſo halb und halb.
Aber niemand iſt in Schleſien beruͤchtigter als der
arme Bahrdt: den kannten und verfluchten ſogar die
gemeinen Leute aus den chriſtlich-milden Schilde-

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[450[452]/0454] Die Edelleute in Schleſien ſind alſo ſehr or- thodox, ſo wie die geiſtlichen; und ich erinnere mich noch recht genau, im Jahr 1786 hier in Halle einem gewiſſen Herrn von Frankenberg Stunden gege- ben zu haben, dem ſein Vater ausdruͤcklich befahl, und dies mehr als einmal: ein Collegium uͤber die Dogmatik und eins uͤber die theologiſche Moral zu hoͤren, aber ja bei Herrn D. Noͤſſelt: und doch war Frankenbergs Hauptſtudium — Juriſterei! Herr D. Noͤſſelt iſt das Orakel der Schleſier; und wer einen Sohn nach Halle ſchickt, der empfiehlt demſel- ben, wenigſtens die Dogmatik bei ihm zu hoͤren: der habe doch noch Dreifaltigkeit und eine Genug- thuung Jeſu — wie wenn Herr D. Noͤſſelt nicht Einſicht und Geſchicke genug haͤtte, die Dinge ſo vorzutragen, daß der Buchſtaben-Theologe Buch- ſtaben, und der geiſtige, Geiſt daraus nehmen koͤnnte. Wer Ohren hat zu hoͤren, der hoͤre, und wer Kopf hat zu faſſen, der faſſe! Und wenn das je- ſuitiſch iſt, dann war auch Chriſtus Jeſuit. — Der gute ehrliche Semler ſtand bei dieſen Leuten in ſehr uͤblem Ruf. Der haͤtte ſich ſogar in ſeinem Werke uͤber den Canon ſelbſt am Worte des Lebens ver- griffen! Herr D. Knapp paſſirte ſo halb und halb. Aber niemand iſt in Schleſien beruͤchtigter als der arme Bahrdt: den kannten und verfluchten ſogar die gemeinen Leute aus den chriſtlich-milden Schilde-

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 450[452]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/454>, abgerufen am 25.11.2024.