Einen Gebrauch habe ich bei den Hallischen Studenten -- denn hier heißen sie nicht Bursche -- bemerkt, den ich noch nirgends gefunden hatte. Das war das Singen bei der Prorektor-Wahl. Diese wird in Halle auf den 12. Julius, als den Stif- tungstag der Universität, bekannt gemacht. An die- sem Tage zogen die Studenten sonst schaarenweise zu sechs, acht und mehreren Hunderten durch alle Straßen und grölten Burschenlieder, auch die aller- schändlichsten. Das Wesen [ - 1 Zeichen fehlt]ing schon gegen fünf Uhr an, und dauerte bis in die späte Nacht. Keine Straße wurde vergessen: die Herren durchbrüllten auch die Winkel der Stadt. Man denke, welches Fest das für den Pöbel, oder wie's in Halle heist, für das grobe Zeug gewesen sey und wie sich der Jan Hagel müsse gefreut und angeschlos- sen haben.
Daß bei dieser schönen Expedition manche Ex- cesse vorfielen, ohne gerade allemal von Studenten herzurühren, läßt sich vermuthen. So sehr aber dies spektakulöse Singen ehedem allgemein beliebt war, so allgemein verhaßt und verächtlich ist es nach und nach geworden. Der edlere Theil der Stu- denten fand es unter seiner Würde, bacchantenmäs- sig auf der Straße herum zu grölen und sich zum skurrilischen Pöbelsänger herabzusetzen, und unter- ließ es. Der kleine obskure Theil, der sein Gassen-
Einen Gebrauch habe ich bei den Halliſchen Studenten — denn hier heißen ſie nicht Burſche — bemerkt, den ich noch nirgends gefunden hatte. Das war das Singen bei der Prorektor-Wahl. Dieſe wird in Halle auf den 12. Julius, als den Stif- tungstag der Univerſitaͤt, bekannt gemacht. An die- ſem Tage zogen die Studenten ſonſt ſchaarenweiſe zu ſechs, acht und mehreren Hunderten durch alle Straßen und groͤlten Burſchenlieder, auch die aller- ſchaͤndlichſten. Das Weſen [ – 1 Zeichen fehlt]ing ſchon gegen fuͤnf Uhr an, und dauerte bis in die ſpaͤte Nacht. Keine Straße wurde vergeſſen: die Herren durchbruͤllten auch die Winkel der Stadt. Man denke, welches Feſt das fuͤr den Poͤbel, oder wie's in Halle heiſt, fuͤr das grobe Zeug geweſen ſey und wie ſich der Jan Hagel muͤſſe gefreut und angeſchloſ- ſen haben.
Daß bei dieſer ſchoͤnen Expedition manche Ex- ceſſe vorfielen, ohne gerade allemal von Studenten herzuruͤhren, laͤßt ſich vermuthen. So ſehr aber dies ſpektakuloͤſe Singen ehedem allgemein beliebt war, ſo allgemein verhaßt und veraͤchtlich iſt es nach und nach geworden. Der edlere Theil der Stu- denten fand es unter ſeiner Wuͤrde, bacchantenmaͤſ- ſig auf der Straße herum zu groͤlen und ſich zum ſkurriliſchen Poͤbelſaͤnger herabzuſetzen, und unter- ließ es. Der kleine obſkure Theil, der ſein Gaſſen-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0113"n="111"/><p>Einen Gebrauch habe ich bei den Halliſchen<lb/>
Studenten — denn hier heißen ſie nicht Burſche —<lb/>
bemerkt, den ich noch nirgends gefunden hatte. Das<lb/>
war das Singen bei der Prorektor-Wahl. Dieſe<lb/>
wird in Halle auf den 12. Julius, als den Stif-<lb/>
tungstag der Univerſitaͤt, bekannt gemacht. An die-<lb/>ſem Tage zogen die Studenten ſonſt ſchaarenweiſe zu<lb/>ſechs, acht und mehreren Hunderten durch alle<lb/>
Straßen und groͤlten Burſchenlieder, auch die aller-<lb/>ſchaͤndlichſten. Das Weſen <gapunit="chars"quantity="1"/>ing ſchon gegen fuͤnf<lb/>
Uhr an, und dauerte bis in die ſpaͤte Nacht. Keine<lb/>
Straße wurde vergeſſen: die Herren durchbruͤllten<lb/>
auch die Winkel der Stadt. Man denke, welches<lb/>
Feſt das fuͤr den Poͤbel, oder wie's in Halle<lb/>
heiſt, fuͤr das <hirendition="#g">grobe Zeug</hi> geweſen ſey und wie<lb/>ſich der Jan Hagel muͤſſe gefreut und angeſchloſ-<lb/>ſen haben.</p><lb/><p>Daß bei dieſer ſchoͤnen Expedition manche Ex-<lb/>
ceſſe vorfielen, ohne gerade allemal von Studenten<lb/>
herzuruͤhren, laͤßt ſich vermuthen. So ſehr aber<lb/>
dies ſpektakuloͤſe Singen ehedem allgemein beliebt<lb/>
war, ſo allgemein verhaßt und veraͤchtlich iſt es nach<lb/>
und nach geworden. Der edlere Theil der Stu-<lb/>
denten fand es unter ſeiner Wuͤrde, bacchantenmaͤſ-<lb/>ſig auf der Straße herum zu groͤlen und ſich zum<lb/>ſkurriliſchen Poͤbelſaͤnger herabzuſetzen, und unter-<lb/>
ließ es. Der kleine obſkure Theil, der ſein Gaſſen-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[111/0113]
Einen Gebrauch habe ich bei den Halliſchen
Studenten — denn hier heißen ſie nicht Burſche —
bemerkt, den ich noch nirgends gefunden hatte. Das
war das Singen bei der Prorektor-Wahl. Dieſe
wird in Halle auf den 12. Julius, als den Stif-
tungstag der Univerſitaͤt, bekannt gemacht. An die-
ſem Tage zogen die Studenten ſonſt ſchaarenweiſe zu
ſechs, acht und mehreren Hunderten durch alle
Straßen und groͤlten Burſchenlieder, auch die aller-
ſchaͤndlichſten. Das Weſen _ing ſchon gegen fuͤnf
Uhr an, und dauerte bis in die ſpaͤte Nacht. Keine
Straße wurde vergeſſen: die Herren durchbruͤllten
auch die Winkel der Stadt. Man denke, welches
Feſt das fuͤr den Poͤbel, oder wie's in Halle
heiſt, fuͤr das grobe Zeug geweſen ſey und wie
ſich der Jan Hagel muͤſſe gefreut und angeſchloſ-
ſen haben.
Daß bei dieſer ſchoͤnen Expedition manche Ex-
ceſſe vorfielen, ohne gerade allemal von Studenten
herzuruͤhren, laͤßt ſich vermuthen. So ſehr aber
dies ſpektakuloͤſe Singen ehedem allgemein beliebt
war, ſo allgemein verhaßt und veraͤchtlich iſt es nach
und nach geworden. Der edlere Theil der Stu-
denten fand es unter ſeiner Wuͤrde, bacchantenmaͤſ-
ſig auf der Straße herum zu groͤlen und ſich zum
ſkurriliſchen Poͤbelſaͤnger herabzuſetzen, und unter-
ließ es. Der kleine obſkure Theil, der ſein Gaſſen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/113>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.