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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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besuchte ich den treflichen Semler, und begleitete
ihn zuweilen auf seinen Spaziergängen, die er alle
Tage anstellte. Bei solchen Gelegenheiten waren die
Reden dieses großen Mannes jedesmal sehr lehrreich
und für mich äusserst interessant. Ich las mehrere
seiner Schriften, besonders sein unsterbliches Werk
vom Kanon, und seine Selecta capita Histor.
eccles.
Stieß ich auf etwas, was ich nicht ver-
stand, oder anders verstand als er, da bat ich ihn um
Belehrung oder disputirte dag[e]gen. In beiden Fäl-
len betrug sich Semler als ein Mann, dem es da-
rum zu thun ist, daß der, welcher ihn hört, die
Wahrheit kennen lerne, und nicht, daß er seine
Gelehrsamkeit bewundere, welches so viele bezwecken
wenn sie über wissenschaftliche Dinge mit Andern
sich unterhalten.

Semler hatte mir vor allen Dingen ein ge-
naues Studium der Geschichte empfohlen, ohne wel-
che, wie er dachte, gar keine gelehrte Kenntniß statt
finden könne: besonders hatte er mir Kirchenhistorie
empfohlen, und in dieser Absicht mußte ich, auf sei-
nen Rath das Neue Testament studiren. Er borgte
mir zu diesem Behuf Wettsteins Ausgabe und
mehrere gute Bücher. Da ich wußte, daß Semler
von den sogenannten Zeichen und Wundern durchaus
nichts hielt, so bat ich ihn einst, in seinem Garten,
mir einen Weg zu zeigen, diese Geschichten ver-

beſuchte ich den treflichen Semler, und begleitete
ihn zuweilen auf ſeinen Spaziergaͤngen, die er alle
Tage anſtellte. Bei ſolchen Gelegenheiten waren die
Reden dieſes großen Mannes jedesmal ſehr lehrreich
und fuͤr mich aͤuſſerſt intereſſant. Ich las mehrere
ſeiner Schriften, beſonders ſein unſterbliches Werk
vom Kanon, und ſeine Selecta capita Hiſtor.
eccleſ.
Stieß ich auf etwas, was ich nicht ver-
ſtand, oder anders verſtand als er, da bat ich ihn um
Belehrung oder diſputirte dag[e]gen. In beiden Faͤl-
len betrug ſich Semler als ein Mann, dem es da-
rum zu thun iſt, daß der, welcher ihn hoͤrt, die
Wahrheit kennen lerne, und nicht, daß er ſeine
Gelehrſamkeit bewundere, welches ſo viele bezwecken
wenn ſie uͤber wiſſenſchaftliche Dinge mit Andern
ſich unterhalten.

Semler hatte mir vor allen Dingen ein ge-
naues Studium der Geſchichte empfohlen, ohne wel-
che, wie er dachte, gar keine gelehrte Kenntniß ſtatt
finden koͤnne: beſonders hatte er mir Kirchenhiſtorie
empfohlen, und in dieſer Abſicht mußte ich, auf ſei-
nen Rath das Neue Teſtament ſtudiren. Er borgte
mir zu dieſem Behuf Wettſteins Ausgabe und
mehrere gute Buͤcher. Da ich wußte, daß Semler
von den ſogenannten Zeichen und Wundern durchaus
nichts hielt, ſo bat ich ihn einſt, in ſeinem Garten,
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[100/0102] beſuchte ich den treflichen Semler, und begleitete ihn zuweilen auf ſeinen Spaziergaͤngen, die er alle Tage anſtellte. Bei ſolchen Gelegenheiten waren die Reden dieſes großen Mannes jedesmal ſehr lehrreich und fuͤr mich aͤuſſerſt intereſſant. Ich las mehrere ſeiner Schriften, beſonders ſein unſterbliches Werk vom Kanon, und ſeine Selecta capita Hiſtor. eccleſ. Stieß ich auf etwas, was ich nicht ver- ſtand, oder anders verſtand als er, da bat ich ihn um Belehrung oder diſputirte dagegen. In beiden Faͤl- len betrug ſich Semler als ein Mann, dem es da- rum zu thun iſt, daß der, welcher ihn hoͤrt, die Wahrheit kennen lerne, und nicht, daß er ſeine Gelehrſamkeit bewundere, welches ſo viele bezwecken wenn ſie uͤber wiſſenſchaftliche Dinge mit Andern ſich unterhalten. Semler hatte mir vor allen Dingen ein ge- naues Studium der Geſchichte empfohlen, ohne wel- che, wie er dachte, gar keine gelehrte Kenntniß ſtatt finden koͤnne: beſonders hatte er mir Kirchenhiſtorie empfohlen, und in dieſer Abſicht mußte ich, auf ſei- nen Rath das Neue Teſtament ſtudiren. Er borgte mir zu dieſem Behuf Wettſteins Ausgabe und mehrere gute Buͤcher. Da ich wußte, daß Semler von den ſogenannten Zeichen und Wundern durchaus nichts hielt, ſo bat ich ihn einſt, in ſeinem Garten, mir einen Weg zu zeigen, dieſe Geſchichten ver-

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/102>, abgerufen am 24.11.2024.