In der einzigen Metaphysik kam ich nicht recht fort, und konnte ihm z. B. nicht beweisen, daß die Monaden eine Kraft haben, sich die Welt dunkel vorzustellen, und daß in dem Beweise dieses Satzes eine Petitio Principii stecke, und folglich zu den Schwachheiten der Leibnitzisch-Wolffischen Metaphysik gehöre. Du wirst schon noch, setzte er hinzu, die Metaphysik kennen lernen: nimm dir aber das Esse zum ersten Grund: posse esse et tamen non esse widerspricht sich, si sermo est de realitate activa, wenn man aber von der wirklichen Subsistenz redet, kann man wohl sagen, potest esse, sed non est. Ich verstand das alles nicht, fand aber späterhin, daß es sich auf die Philosophie des Spinosa bezog.
Da mein Vater mit meinen Kenntnissen sowohl zufrieden war, war ich selbst froh, und dachte an nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch zu Hause meine Tage vergnügt hinzubringen. Mein Vater hatte aber nach unserm Examen sich eines an- dern besonnen und jetzt neuerdings beschlossen: daß ich noch auf ein Jahr die Göttingische Universität beziehen sollte, und das deswegen, damit ich mehr in den orientalischen Sprachen leisten, und überhaupt mich in Absicht meiner Sitten bessern möchte, welche in Gießen ganz verwildert waren. Göttingen stand schon damals im Rufe sehr feiner Sitten. Mein Vater entdeckte mir seinen Vorsatz, und befahl mir
In der einzigen Metaphyſik kam ich nicht recht fort, und konnte ihm z. B. nicht beweiſen, daß die Monaden eine Kraft haben, ſich die Welt dunkel vorzuſtellen, und daß in dem Beweiſe dieſes Satzes eine Petitio Principii ſtecke, und folglich zu den Schwachheiten der Leibnitziſch-Wolffiſchen Metaphyſik gehoͤre. Du wirſt ſchon noch, ſetzte er hinzu, die Metaphyſik kennen lernen: nimm dir aber das Esſe zum erſten Grund: poſſe eſſe et tamen non eſſe widerſpricht ſich, ſi ſermo eſt de realitate activa, wenn man aber von der wirklichen Subſiſtenz redet, kann man wohl ſagen, poteſt eſſe, ſed non eſt. Ich verſtand das alles nicht, fand aber ſpaͤterhin, daß es ſich auf die Philoſophie des Spinoſa bezog.
Da mein Vater mit meinen Kenntniſſen ſowohl zufrieden war, war ich ſelbſt froh, und dachte an nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch zu Hauſe meine Tage vergnuͤgt hinzubringen. Mein Vater hatte aber nach unſerm Examen ſich eines an- dern beſonnen und jetzt neuerdings beſchloſſen: daß ich noch auf ein Jahr die Goͤttingiſche Univerſitaͤt beziehen ſollte, und das deswegen, damit ich mehr in den orientaliſchen Sprachen leiſten, und uͤberhaupt mich in Abſicht meiner Sitten beſſern moͤchte, welche in Gießen ganz verwildert waren. Goͤttingen ſtand ſchon damals im Rufe ſehr feiner Sitten. Mein Vater entdeckte mir ſeinen Vorſatz, und befahl mir
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In der einzigen Metaphyſik kam ich nicht recht fort,
und konnte ihm z. B. nicht beweiſen, daß die Monaden
eine Kraft haben, ſich die Welt dunkel vorzuſtellen,
und daß in dem Beweiſe dieſes Satzes eine Petitio
Principii ſtecke, und folglich zu den Schwachheiten
der Leibnitziſch-Wolffiſchen Metaphyſik gehoͤre. Du
wirſt ſchon noch, ſetzte er hinzu, die Metaphyſik kennen
lernen: nimm dir aber das Esſe zum erſten Grund:
poſſe eſſe et tamen non eſſe widerſpricht ſich, ſi
ſermo eſt de realitate activa, wenn man aber von
der wirklichen Subſiſtenz redet, kann man wohl
ſagen, poteſt eſſe, ſed non eſt. Ich verſtand
das alles nicht, fand aber ſpaͤterhin, daß es ſich auf
die Philoſophie des Spinoſa bezog.
Da mein Vater mit meinen Kenntniſſen ſowohl
zufrieden war, war ich ſelbſt froh, und dachte an
nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch
zu Hauſe meine Tage vergnuͤgt hinzubringen. Mein
Vater hatte aber nach unſerm Examen ſich eines an-
dern beſonnen und jetzt neuerdings beſchloſſen: daß
ich noch auf ein Jahr die Goͤttingiſche Univerſitaͤt
beziehen ſollte, und das deswegen, damit ich mehr
in den orientaliſchen Sprachen leiſten, und uͤberhaupt
mich in Abſicht meiner Sitten beſſern moͤchte, welche
in Gießen ganz verwildert waren. Goͤttingen ſtand
ſchon damals im Rufe ſehr feiner Sitten. Mein
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/261>, abgerufen am 23.11.2024.
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