Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

und der Bergrath Böhm setzten mir besonders zu,
ja recht fleißig zu seyn. Ich faßte auch wirklich den
festen Vorsatz, zwar burschikos zu leben, doch aber
meine Wissenschaften immer daneben zu treiben, um
einmal etwas leisten zu können, oder vielmehr, weil
mir die Litteratur von je her behagt hat. Hätte ich
in der gehörigen Ordnung studirt; so glaube ich, daß
ich es in einigen Kenntnissen ziemlich weit gebracht
hätte.

Ich gerieth diesen Winter in die Bekanntschaft
des Prof. Lobstein. Dieser Mann war an Hrn.
D. Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem
Bahrdts Geist, und hellen Kopf nicht. Lobstein
war ein Mann von einiger Gelehrsamkeit; er hatte
in Strasburg und Paris studirt, und sein Gedächt-
niß nicht übel angefüllt; sein Verstand war aber lei-
der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er
sich den orthodoxen pietistischen Ton angewöhnt, der
dort Mode war, und den wollte er nun auch in
Gießen einführen. Er warf sich also zum unbefug-
ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb
dadurch seinen ganzen Credit. Wenn er seine Lehr-
stunden anfing, so betete er allemal eine Viertelstun-
de, und wenn er sie endigte, so empfahl er seine Zu-
hörer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ
sie im Frieden Jesu gehen. Kam ein Student zu
ihm; so fragte er ihn, ob er auch ein Regeni-

und der Bergrath Boͤhm ſetzten mir beſonders zu,
ja recht fleißig zu ſeyn. Ich faßte auch wirklich den
feſten Vorſatz, zwar burſchikos zu leben, doch aber
meine Wiſſenſchaften immer daneben zu treiben, um
einmal etwas leiſten zu koͤnnen, oder vielmehr, weil
mir die Litteratur von je her behagt hat. Haͤtte ich
in der gehoͤrigen Ordnung ſtudirt; ſo glaube ich, daß
ich es in einigen Kenntniſſen ziemlich weit gebracht
haͤtte.

Ich gerieth dieſen Winter in die Bekanntſchaft
des Prof. Lobſtein. Dieſer Mann war an Hrn.
D. Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem
Bahrdts Geiſt, und hellen Kopf nicht. Lobſtein
war ein Mann von einiger Gelehrſamkeit; er hatte
in Strasburg und Paris ſtudirt, und ſein Gedaͤcht-
niß nicht uͤbel angefuͤllt; ſein Verſtand war aber lei-
der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er
ſich den orthodoxen pietiſtiſchen Ton angewoͤhnt, der
dort Mode war, und den wollte er nun auch in
Gießen einfuͤhren. Er warf ſich alſo zum unbefug-
ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb
dadurch ſeinen ganzen Credit. Wenn er ſeine Lehr-
ſtunden anfing, ſo betete er allemal eine Viertelſtun-
de, und wenn er ſie endigte, ſo empfahl er ſeine Zu-
hoͤrer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ
ſie im Frieden Jeſu gehen. Kam ein Student zu
ihm; ſo fragte er ihn, ob er auch ein Regeni-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="201"/>
und der Bergrath <hi rendition="#g">Bo&#x0364;hm</hi> &#x017F;etzten mir be&#x017F;onders zu,<lb/>
ja recht fleißig zu &#x017F;eyn. Ich faßte auch wirklich den<lb/>
fe&#x017F;ten Vor&#x017F;atz, zwar bur&#x017F;chikos zu leben, doch aber<lb/>
meine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften immer daneben zu treiben, um<lb/>
einmal etwas lei&#x017F;ten zu ko&#x0364;nnen, oder vielmehr, weil<lb/>
mir die Litteratur von je her behagt hat. Ha&#x0364;tte ich<lb/>
in der geho&#x0364;rigen Ordnung &#x017F;tudirt; &#x017F;o glaube ich, daß<lb/>
ich es in einigen Kenntni&#x017F;&#x017F;en ziemlich weit gebracht<lb/>
ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Ich gerieth die&#x017F;en Winter in die Bekannt&#x017F;chaft<lb/>
des Prof. <hi rendition="#g">Lob&#x017F;tein</hi>. Die&#x017F;er Mann war an Hrn.<lb/><hi rendition="#aq">D.</hi> Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem<lb/>
Bahrdts Gei&#x017F;t, und hellen Kopf nicht. Lob&#x017F;tein<lb/>
war ein Mann von einiger Gelehr&#x017F;amkeit; er hatte<lb/>
in Strasburg und Paris &#x017F;tudirt, und &#x017F;ein Geda&#x0364;cht-<lb/>
niß nicht u&#x0364;bel angefu&#x0364;llt; &#x017F;ein Ver&#x017F;tand war aber lei-<lb/>
der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er<lb/>
&#x017F;ich den orthodoxen pieti&#x017F;ti&#x017F;chen Ton angewo&#x0364;hnt, der<lb/>
dort Mode war, und den wollte er nun auch in<lb/>
Gießen einfu&#x0364;hren. Er warf &#x017F;ich al&#x017F;o zum unbefug-<lb/>
ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb<lb/>
dadurch &#x017F;einen ganzen Credit. Wenn er &#x017F;eine Lehr-<lb/>
&#x017F;tunden anfing, &#x017F;o betete er allemal eine Viertel&#x017F;tun-<lb/>
de, und wenn er &#x017F;ie endigte, &#x017F;o empfahl er &#x017F;eine Zu-<lb/>
ho&#x0364;rer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ<lb/>
&#x017F;ie im Frieden Je&#x017F;u gehen. Kam ein Student zu<lb/>
ihm; &#x017F;o fragte er ihn, ob er auch ein <hi rendition="#aq">Regeni-<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0215] und der Bergrath Boͤhm ſetzten mir beſonders zu, ja recht fleißig zu ſeyn. Ich faßte auch wirklich den feſten Vorſatz, zwar burſchikos zu leben, doch aber meine Wiſſenſchaften immer daneben zu treiben, um einmal etwas leiſten zu koͤnnen, oder vielmehr, weil mir die Litteratur von je her behagt hat. Haͤtte ich in der gehoͤrigen Ordnung ſtudirt; ſo glaube ich, daß ich es in einigen Kenntniſſen ziemlich weit gebracht haͤtte. Ich gerieth dieſen Winter in die Bekanntſchaft des Prof. Lobſtein. Dieſer Mann war an Hrn. D. Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem Bahrdts Geiſt, und hellen Kopf nicht. Lobſtein war ein Mann von einiger Gelehrſamkeit; er hatte in Strasburg und Paris ſtudirt, und ſein Gedaͤcht- niß nicht uͤbel angefuͤllt; ſein Verſtand war aber lei- der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er ſich den orthodoxen pietiſtiſchen Ton angewoͤhnt, der dort Mode war, und den wollte er nun auch in Gießen einfuͤhren. Er warf ſich alſo zum unbefug- ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb dadurch ſeinen ganzen Credit. Wenn er ſeine Lehr- ſtunden anfing, ſo betete er allemal eine Viertelſtun- de, und wenn er ſie endigte, ſo empfahl er ſeine Zu- hoͤrer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ ſie im Frieden Jeſu gehen. Kam ein Student zu ihm; ſo fragte er ihn, ob er auch ein Regeni-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/215
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/215>, abgerufen am 24.11.2024.