Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

da oben soll entzückend sein, wir reiten eben vor-
über, warum sollen wir nicht ein Stück Rindfleisch
da oben essen? Auch soll die Lady eine schöne
Tochter haben, man sagt's, denn von uns hat sie
Niemand gesehn, die Alte kommt seit zehn Jahren
nicht nach London."

Wir wurden in die große steinerne Halle zu
Tisch geführt; ich denke hier fortwährend Walter
Scotts, man sieht durch hohe Bogenfenster weit in's
Meer hinaus, seitwärts auf grünes oder waldiges
Bergufer. Das Schloß ruht von dieser Seite auf
einem Felsen, der senkrecht aus dem Meere aufsteigt,
das Wogenbrausen ist eine Tafelmusik des ewigen
Elements, dessen Wellen ab und zu gehn zwischen
den Erdtheilen dieses Planeten.

Die alte Lady ist eine hohe, vornehme Frau,
höflich wie ein Buch, nicht mehr sprechend, als die
strengste Censur einem Buche erlaubt hätte -- sie
kam allein, wie wir erwartet hatten; wir waren sehr
artig und bescheiden, und sprachen über Walter
Scott und dessen Romane. Es ist reizend, wie viel
unbefangen romantisches Jnteresse in diesen Englän-
dern lebt, jede erfundene Person einer Geschichte,

10*

da oben ſoll entzuͤckend ſein, wir reiten eben vor-
uͤber, warum ſollen wir nicht ein Stuͤck Rindfleiſch
da oben eſſen? Auch ſoll die Lady eine ſchoͤne
Tochter haben, man ſagt’s, denn von uns hat ſie
Niemand geſehn, die Alte kommt ſeit zehn Jahren
nicht nach London.“

Wir wurden in die große ſteinerne Halle zu
Tiſch gefuͤhrt; ich denke hier fortwaͤhrend Walter
Scotts, man ſieht durch hohe Bogenfenſter weit in’s
Meer hinaus, ſeitwaͤrts auf gruͤnes oder waldiges
Bergufer. Das Schloß ruht von dieſer Seite auf
einem Felſen, der ſenkrecht aus dem Meere aufſteigt,
das Wogenbrauſen iſt eine Tafelmuſik des ewigen
Elements, deſſen Wellen ab und zu gehn zwiſchen
den Erdtheilen dieſes Planeten.

Die alte Lady iſt eine hohe, vornehme Frau,
hoͤflich wie ein Buch, nicht mehr ſprechend, als die
ſtrengſte Cenſur einem Buche erlaubt haͤtte — ſie
kam allein, wie wir erwartet hatten; wir waren ſehr
artig und beſcheiden, und ſprachen uͤber Walter
Scott und deſſen Romane. Es iſt reizend, wie viel
unbefangen romantiſches Jntereſſe in dieſen Englaͤn-
dern lebt, jede erfundene Perſon einer Geſchichte,

10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0233" n="225"/>
da oben &#x017F;oll entzu&#x0364;ckend &#x017F;ein, wir reiten eben vor-<lb/>
u&#x0364;ber, warum &#x017F;ollen wir nicht ein Stu&#x0364;ck Rindflei&#x017F;ch<lb/>
da oben e&#x017F;&#x017F;en? Auch &#x017F;oll die Lady eine &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Tochter haben, man &#x017F;agt&#x2019;s, denn von uns hat &#x017F;ie<lb/>
Niemand ge&#x017F;ehn, die Alte kommt &#x017F;eit zehn Jahren<lb/>
nicht nach London.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir wurden in die große &#x017F;teinerne Halle zu<lb/>
Ti&#x017F;ch gefu&#x0364;hrt; ich denke hier fortwa&#x0364;hrend Walter<lb/>
Scotts, man &#x017F;ieht durch hohe Bogenfen&#x017F;ter weit in&#x2019;s<lb/>
Meer hinaus, &#x017F;eitwa&#x0364;rts auf gru&#x0364;nes oder waldiges<lb/>
Bergufer. Das Schloß ruht von die&#x017F;er Seite auf<lb/>
einem Fel&#x017F;en, der &#x017F;enkrecht aus dem Meere auf&#x017F;teigt,<lb/>
das Wogenbrau&#x017F;en i&#x017F;t eine Tafelmu&#x017F;ik des ewigen<lb/>
Elements, de&#x017F;&#x017F;en Wellen ab und zu gehn zwi&#x017F;chen<lb/>
den Erdtheilen die&#x017F;es Planeten.</p><lb/>
          <p>Die alte Lady i&#x017F;t eine hohe, vornehme Frau,<lb/>
ho&#x0364;flich wie ein Buch, nicht mehr &#x017F;prechend, als die<lb/>
&#x017F;treng&#x017F;te Cen&#x017F;ur einem Buche erlaubt ha&#x0364;tte &#x2014; &#x017F;ie<lb/>
kam allein, wie wir erwartet hatten; wir waren &#x017F;ehr<lb/>
artig und be&#x017F;cheiden, und &#x017F;prachen u&#x0364;ber Walter<lb/>
Scott und de&#x017F;&#x017F;en Romane. Es i&#x017F;t reizend, wie viel<lb/>
unbefangen romanti&#x017F;ches Jntere&#x017F;&#x017F;e in die&#x017F;en Engla&#x0364;n-<lb/>
dern lebt, jede erfundene Per&#x017F;on einer Ge&#x017F;chichte,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">10*</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0233] da oben ſoll entzuͤckend ſein, wir reiten eben vor- uͤber, warum ſollen wir nicht ein Stuͤck Rindfleiſch da oben eſſen? Auch ſoll die Lady eine ſchoͤne Tochter haben, man ſagt’s, denn von uns hat ſie Niemand geſehn, die Alte kommt ſeit zehn Jahren nicht nach London.“ Wir wurden in die große ſteinerne Halle zu Tiſch gefuͤhrt; ich denke hier fortwaͤhrend Walter Scotts, man ſieht durch hohe Bogenfenſter weit in’s Meer hinaus, ſeitwaͤrts auf gruͤnes oder waldiges Bergufer. Das Schloß ruht von dieſer Seite auf einem Felſen, der ſenkrecht aus dem Meere aufſteigt, das Wogenbrauſen iſt eine Tafelmuſik des ewigen Elements, deſſen Wellen ab und zu gehn zwiſchen den Erdtheilen dieſes Planeten. Die alte Lady iſt eine hohe, vornehme Frau, hoͤflich wie ein Buch, nicht mehr ſprechend, als die ſtrengſte Cenſur einem Buche erlaubt haͤtte — ſie kam allein, wie wir erwartet hatten; wir waren ſehr artig und beſcheiden, und ſprachen uͤber Walter Scott und deſſen Romane. Es iſt reizend, wie viel unbefangen romantiſches Jntereſſe in dieſen Englaͤn- dern lebt, jede erfundene Perſon einer Geſchichte, 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/233
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/233>, abgerufen am 08.05.2024.