Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

in ihm auf wie ein kochender, gewaltiger Strudel,
wenn der Jokey ein humoristisch Verhältniß trocken
schildert, so lacht er tüchtig. Er soll zu einer nahen
Verwandten in früher Jugend liebend entbrannt ge-
wesen sein, und wie ein Berserker Alles bei Seit'
geworfen haben, was im Wege stand; donnerndes,
blitztreffendes Durcheinander wird da erzählt -- das
Mädchen sei aus der Welt verschwunden, Niemand
wisse wohin.

Jch weiß, daß ich Dir ein Gräuel bin, wenn
ich diesen Punkt der Verwandtschaftsliebe anrühre;
Dir ist sie ein Civilisationsfrevel -- ich habe nie
Empfindungen, deren Ursprung in der Civilisation
ruhte, vielleicht hat sie kein kräftiger Mensch, der
nicht auch seine Nervenspitzen bis zur Furcht und
Artigkeit erzogen hat, und meine Empfindung fragt
nicht darnach, aus welchem Schooße das Weib
stammt, welches mein Auge liebt, mein Arm begehrt.
Was thaten die alten Völker, wo es an Menschen
fehlte? Hatten sie solche Skrupel? O nein, selbst
die sanftesten nicht. Hat mein Herz nach den Listen
und Tabellen der Uebervölkerung zu fragen? Die
Griechen brandmarkten nur die Umarmung der eige-

in ihm auf wie ein kochender, gewaltiger Strudel,
wenn der Jokey ein humoriſtiſch Verhaͤltniß trocken
ſchildert, ſo lacht er tuͤchtig. Er ſoll zu einer nahen
Verwandten in fruͤher Jugend liebend entbrannt ge-
weſen ſein, und wie ein Berſerker Alles bei Seit’
geworfen haben, was im Wege ſtand; donnerndes,
blitztreffendes Durcheinander wird da erzaͤhlt — das
Maͤdchen ſei aus der Welt verſchwunden, Niemand
wiſſe wohin.

Jch weiß, daß ich Dir ein Graͤuel bin, wenn
ich dieſen Punkt der Verwandtſchaftsliebe anruͤhre;
Dir iſt ſie ein Civiliſationsfrevel — ich habe nie
Empfindungen, deren Urſprung in der Civiliſation
ruhte, vielleicht hat ſie kein kraͤftiger Menſch, der
nicht auch ſeine Nervenſpitzen bis zur Furcht und
Artigkeit erzogen hat, und meine Empfindung fragt
nicht darnach, aus welchem Schooße das Weib
ſtammt, welches mein Auge liebt, mein Arm begehrt.
Was thaten die alten Voͤlker, wo es an Menſchen
fehlte? Hatten ſie ſolche Skrupel? O nein, ſelbſt
die ſanfteſten nicht. Hat mein Herz nach den Liſten
und Tabellen der Uebervoͤlkerung zu fragen? Die
Griechen brandmarkten nur die Umarmung der eige-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0231" n="223"/>
in ihm auf wie ein kochender, gewaltiger Strudel,<lb/>
wenn der Jokey ein humori&#x017F;ti&#x017F;ch Verha&#x0364;ltniß trocken<lb/>
&#x017F;childert, &#x017F;o lacht er tu&#x0364;chtig. Er &#x017F;oll zu einer nahen<lb/>
Verwandten in fru&#x0364;her Jugend liebend entbrannt ge-<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ein, und wie ein Ber&#x017F;erker Alles bei Seit&#x2019;<lb/>
geworfen haben, was im Wege &#x017F;tand; donnerndes,<lb/>
blitztreffendes Durcheinander wird da erza&#x0364;hlt &#x2014; das<lb/>
Ma&#x0364;dchen &#x017F;ei aus der Welt ver&#x017F;chwunden, Niemand<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e wohin.</p><lb/>
          <p>Jch weiß, daß ich Dir ein Gra&#x0364;uel bin, wenn<lb/>
ich die&#x017F;en Punkt der Verwandt&#x017F;chaftsliebe anru&#x0364;hre;<lb/>
Dir i&#x017F;t &#x017F;ie ein Civili&#x017F;ationsfrevel &#x2014; ich habe nie<lb/>
Empfindungen, deren Ur&#x017F;prung in der Civili&#x017F;ation<lb/>
ruhte, vielleicht hat &#x017F;ie kein kra&#x0364;ftiger Men&#x017F;ch, der<lb/>
nicht auch &#x017F;eine Nerven&#x017F;pitzen bis zur Furcht und<lb/>
Artigkeit erzogen hat, und meine Empfindung fragt<lb/>
nicht darnach, aus welchem Schooße das Weib<lb/>
&#x017F;tammt, welches mein Auge liebt, mein Arm begehrt.<lb/>
Was thaten die alten Vo&#x0364;lker, wo es an Men&#x017F;chen<lb/>
fehlte? Hatten &#x017F;ie &#x017F;olche Skrupel? O nein, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die &#x017F;anfte&#x017F;ten nicht. Hat mein Herz nach den Li&#x017F;ten<lb/>
und Tabellen der Uebervo&#x0364;lkerung zu fragen? Die<lb/>
Griechen brandmarkten nur die Umarmung der eige-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0231] in ihm auf wie ein kochender, gewaltiger Strudel, wenn der Jokey ein humoriſtiſch Verhaͤltniß trocken ſchildert, ſo lacht er tuͤchtig. Er ſoll zu einer nahen Verwandten in fruͤher Jugend liebend entbrannt ge- weſen ſein, und wie ein Berſerker Alles bei Seit’ geworfen haben, was im Wege ſtand; donnerndes, blitztreffendes Durcheinander wird da erzaͤhlt — das Maͤdchen ſei aus der Welt verſchwunden, Niemand wiſſe wohin. Jch weiß, daß ich Dir ein Graͤuel bin, wenn ich dieſen Punkt der Verwandtſchaftsliebe anruͤhre; Dir iſt ſie ein Civiliſationsfrevel — ich habe nie Empfindungen, deren Urſprung in der Civiliſation ruhte, vielleicht hat ſie kein kraͤftiger Menſch, der nicht auch ſeine Nervenſpitzen bis zur Furcht und Artigkeit erzogen hat, und meine Empfindung fragt nicht darnach, aus welchem Schooße das Weib ſtammt, welches mein Auge liebt, mein Arm begehrt. Was thaten die alten Voͤlker, wo es an Menſchen fehlte? Hatten ſie ſolche Skrupel? O nein, ſelbſt die ſanfteſten nicht. Hat mein Herz nach den Liſten und Tabellen der Uebervoͤlkerung zu fragen? Die Griechen brandmarkten nur die Umarmung der eige-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/231
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/231>, abgerufen am 08.05.2024.