Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch weiß nicht, was seitdem geschah,
Jch sah sie nur im Bilde.

Jch fühl' auch heut' nur kalten Wind,
Seh keine Blätter fallen --
Wenn ferne Lieben gestorben sind,
Hören wir Glocken hallen.


Du wunderst Dich vielleicht, daß ich über das,
worin der Mittelpunkt meines Elends ruht, über
den Staat selbst, so wenig denke und zusammen-
stelle; ich wundre mich manchmal selbst darüber;
aber es ist nicht anders. Was sollt' ich? Einen
Staat konstruiren wie Sieyes, von dem man sagt,
daß er immer mehrere Exemplare des Staats in
den Taschen gehabt? Dies Definiren aus der Luft
ist nicht meine Sache, und Du glaubst nicht, wie
die Gedanken, zaumlos frei gegeben wie die Pferde
der Ukraine in den unabsehbaren Steppen, Du glaubst
nicht, wie sie in der Jrre müde werden. Man
denkt im geschäftlichen Leben, wo des Tags kaum
zwei einsame Stunden gewährt sind, viel mehr Dar-
stellbares, unser Jnnres braucht Abwechselung, An-
regung eben so gut, um zu schaffen, wie der Körper,

Jch weiß nicht, was ſeitdem geſchah,
Jch ſah ſie nur im Bilde.

Jch fühl’ auch heut’ nur kalten Wind,
Seh keine Blätter fallen —
Wenn ferne Lieben geſtorben ſind,
Hören wir Glocken hallen.


Du wunderſt Dich vielleicht, daß ich über das,
worin der Mittelpunkt meines Elends ruht, über
den Staat ſelbſt, ſo wenig denke und zuſammen-
ſtelle; ich wundre mich manchmal ſelbſt darüber;
aber es iſt nicht anders. Was ſollt’ ich? Einen
Staat konſtruiren wie Sieyes, von dem man ſagt,
daß er immer mehrere Exemplare des Staats in
den Taſchen gehabt? Dies Definiren aus der Luft
iſt nicht meine Sache, und Du glaubſt nicht, wie
die Gedanken, zaumlos frei gegeben wie die Pferde
der Ukraine in den unabſehbaren Steppen, Du glaubſt
nicht, wie ſie in der Jrre müde werden. Man
denkt im geſchäftlichen Leben, wo des Tags kaum
zwei einſame Stunden gewährt ſind, viel mehr Dar-
ſtellbares, unſer Jnnres braucht Abwechſelung, An-
regung eben ſo gut, um zu ſchaffen, wie der Körper,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="6">
              <pb facs="#f0157" n="149"/>
              <l>Jch weiß nicht, was &#x017F;eitdem ge&#x017F;chah,</l><lb/>
              <l>Jch &#x017F;ah &#x017F;ie nur im Bilde.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Jch fühl&#x2019; auch heut&#x2019; nur kalten Wind,</l><lb/>
              <l>Seh keine Blätter fallen &#x2014;</l><lb/>
              <l>Wenn ferne Lieben ge&#x017F;torben &#x017F;ind,</l><lb/>
              <l>Hören wir Glocken hallen.</l>
            </lg>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Du wunder&#x017F;t Dich vielleicht, daß ich über das,<lb/>
worin der Mittelpunkt meines Elends ruht, über<lb/>
den Staat &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o wenig denke und zu&#x017F;ammen-<lb/>
&#x017F;telle; ich wundre mich manchmal &#x017F;elb&#x017F;t darüber;<lb/>
aber es i&#x017F;t nicht anders. Was &#x017F;ollt&#x2019; ich? Einen<lb/>
Staat kon&#x017F;truiren wie Sieyes, von dem man &#x017F;agt,<lb/>
daß er immer mehrere Exemplare des Staats in<lb/>
den Ta&#x017F;chen gehabt? Dies Definiren aus der Luft<lb/>
i&#x017F;t nicht meine Sache, und Du glaub&#x017F;t nicht, wie<lb/>
die Gedanken, zaumlos frei gegeben wie die Pferde<lb/>
der Ukraine in den unab&#x017F;ehbaren Steppen, Du glaub&#x017F;t<lb/>
nicht, wie &#x017F;ie in der Jrre müde werden. Man<lb/>
denkt im ge&#x017F;chäftlichen Leben, wo des Tags kaum<lb/>
zwei ein&#x017F;ame Stunden gewährt &#x017F;ind, viel mehr Dar-<lb/>
&#x017F;tellbares, un&#x017F;er Jnnres braucht Abwech&#x017F;elung, An-<lb/>
regung eben &#x017F;o gut, um zu &#x017F;chaffen, wie der Körper,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0157] Jch weiß nicht, was ſeitdem geſchah, Jch ſah ſie nur im Bilde. Jch fühl’ auch heut’ nur kalten Wind, Seh keine Blätter fallen — Wenn ferne Lieben geſtorben ſind, Hören wir Glocken hallen. Du wunderſt Dich vielleicht, daß ich über das, worin der Mittelpunkt meines Elends ruht, über den Staat ſelbſt, ſo wenig denke und zuſammen- ſtelle; ich wundre mich manchmal ſelbſt darüber; aber es iſt nicht anders. Was ſollt’ ich? Einen Staat konſtruiren wie Sieyes, von dem man ſagt, daß er immer mehrere Exemplare des Staats in den Taſchen gehabt? Dies Definiren aus der Luft iſt nicht meine Sache, und Du glaubſt nicht, wie die Gedanken, zaumlos frei gegeben wie die Pferde der Ukraine in den unabſehbaren Steppen, Du glaubſt nicht, wie ſie in der Jrre müde werden. Man denkt im geſchäftlichen Leben, wo des Tags kaum zwei einſame Stunden gewährt ſind, viel mehr Dar- ſtellbares, unſer Jnnres braucht Abwechſelung, An- regung eben ſo gut, um zu ſchaffen, wie der Körper,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/157
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/157>, abgerufen am 03.05.2024.