Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

hafte Traumgestalten an mir vorübergezogen sind,
vielleicht besonders darum, weil die Menschen gar
keine höher menschlichen Bezügnisse zu mir hatten,
nichts als erzogene, gezähmte Thiere für mich waren?
Jch erschrecke selbst vor den Worten jetzt, welche
meine damalige Zeit und meinen Aufenthalt bezeich-
nen. Kurz, ein Mensch, der unser Freund sein
mußte, wenn er ein Herz besaß, wenigstens ein
Freund in Bezug auf die Russen, Slodczek, den
wir vor den Thoren Krakau's im Jammer fanden,
den wir retteten und nährten, überantwortete uns
dem Feinde, weil es ihm einen kleinen Vortheil
brachte, weil er undankbar ist, wie es ein nicht selt-
ner slavischer Zug mit sich bringt, weil er den Aus-
länder und den Juden keiner weitern Rücksicht werth
achtet. Zum Glück waren wir an reine Kosacken
gekommen, und unser Weg ging nach dem südlichen
Sibirien, weil er den Kosacken der wünschenswerthere
schien. Der Kosack ist gutmüthig, und in den meisten
Theilen Sibiriens verkehrt er gern, weil er es noch
für ein Privatreich seiner Stämme ansieht; denn
sie haben es in der zweiten Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts dem russischen Reiche unterworfen.

hafte Traumgeſtalten an mir vorübergezogen ſind,
vielleicht beſonders darum, weil die Menſchen gar
keine höher menſchlichen Bezügniſſe zu mir hatten,
nichts als erzogene, gezähmte Thiere für mich waren?
Jch erſchrecke ſelbſt vor den Worten jetzt, welche
meine damalige Zeit und meinen Aufenthalt bezeich-
nen. Kurz, ein Menſch, der unſer Freund ſein
mußte, wenn er ein Herz beſaß, wenigſtens ein
Freund in Bezug auf die Ruſſen, Slodczek, den
wir vor den Thoren Krakau’s im Jammer fanden,
den wir retteten und nährten, überantwortete uns
dem Feinde, weil es ihm einen kleinen Vortheil
brachte, weil er undankbar iſt, wie es ein nicht ſelt-
ner ſlaviſcher Zug mit ſich bringt, weil er den Aus-
länder und den Juden keiner weitern Rückſicht werth
achtet. Zum Glück waren wir an reine Koſacken
gekommen, und unſer Weg ging nach dem ſüdlichen
Sibirien, weil er den Koſacken der wünſchenswerthere
ſchien. Der Koſack iſt gutmüthig, und in den meiſten
Theilen Sibiriens verkehrt er gern, weil er es noch
für ein Privatreich ſeiner Stämme anſieht; denn
ſie haben es in der zweiten Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts dem ruſſiſchen Reiche unterworfen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="98"/>
hafte Traumge&#x017F;talten an mir vorübergezogen &#x017F;ind,<lb/>
vielleicht be&#x017F;onders darum, weil die Men&#x017F;chen gar<lb/>
keine höher men&#x017F;chlichen Bezügni&#x017F;&#x017F;e zu mir hatten,<lb/>
nichts als erzogene, gezähmte Thiere für mich waren?<lb/>
Jch er&#x017F;chrecke &#x017F;elb&#x017F;t vor den Worten jetzt, welche<lb/>
meine damalige Zeit und meinen Aufenthalt bezeich-<lb/>
nen. Kurz, ein Men&#x017F;ch, der un&#x017F;er Freund &#x017F;ein<lb/>
mußte, wenn er ein Herz be&#x017F;aß, wenig&#x017F;tens ein<lb/>
Freund in Bezug auf die Ru&#x017F;&#x017F;en, Slodczek, den<lb/>
wir vor den Thoren Krakau&#x2019;s im Jammer fanden,<lb/>
den wir retteten und nährten, überantwortete uns<lb/>
dem Feinde, weil es ihm einen kleinen Vortheil<lb/>
brachte, weil er undankbar i&#x017F;t, wie es ein nicht &#x017F;elt-<lb/>
ner &#x017F;lavi&#x017F;cher Zug mit &#x017F;ich bringt, weil er den Aus-<lb/>
länder und den Juden keiner weitern Rück&#x017F;icht werth<lb/>
achtet. Zum Glück waren wir an reine Ko&#x017F;acken<lb/>
gekommen, und un&#x017F;er Weg ging nach dem &#x017F;üdlichen<lb/>
Sibirien, weil er den Ko&#x017F;acken der wün&#x017F;chenswerthere<lb/>
&#x017F;chien. Der Ko&#x017F;ack i&#x017F;t gutmüthig, und in den mei&#x017F;ten<lb/>
Theilen Sibiriens verkehrt er gern, weil er es noch<lb/>
für ein Privatreich &#x017F;einer Stämme an&#x017F;ieht; denn<lb/>
&#x017F;ie haben es in der zweiten Hälfte des &#x017F;iebzehnten<lb/>
Jahrhunderts dem ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Reiche unterworfen.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0106] hafte Traumgeſtalten an mir vorübergezogen ſind, vielleicht beſonders darum, weil die Menſchen gar keine höher menſchlichen Bezügniſſe zu mir hatten, nichts als erzogene, gezähmte Thiere für mich waren? Jch erſchrecke ſelbſt vor den Worten jetzt, welche meine damalige Zeit und meinen Aufenthalt bezeich- nen. Kurz, ein Menſch, der unſer Freund ſein mußte, wenn er ein Herz beſaß, wenigſtens ein Freund in Bezug auf die Ruſſen, Slodczek, den wir vor den Thoren Krakau’s im Jammer fanden, den wir retteten und nährten, überantwortete uns dem Feinde, weil es ihm einen kleinen Vortheil brachte, weil er undankbar iſt, wie es ein nicht ſelt- ner ſlaviſcher Zug mit ſich bringt, weil er den Aus- länder und den Juden keiner weitern Rückſicht werth achtet. Zum Glück waren wir an reine Koſacken gekommen, und unſer Weg ging nach dem ſüdlichen Sibirien, weil er den Koſacken der wünſchenswerthere ſchien. Der Koſack iſt gutmüthig, und in den meiſten Theilen Sibiriens verkehrt er gern, weil er es noch für ein Privatreich ſeiner Stämme anſieht; denn ſie haben es in der zweiten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts dem ruſſiſchen Reiche unterworfen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/106
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/106>, abgerufen am 07.05.2024.