grundlos elend. Sonst kümmerte er sich nicht um seinen Glauben, nur aus Stolz verließ er ihn nicht; er ließ mich gewähren, wenn ich mich um die Bräuche nicht kümmerte, er fragte nie darnach -- jetzt ist er bigott, ohne an seine neuen Dinge zu glauben. Er will einen Glauben haben, und zwar den strengsten, um die Oede seines Wesens zu bevölkern. Jetzt mag ihm mein Heidenthum viel Herzeleid machen, obwohl er mir nimmer ein Wort darüber sagt."
"Als ich von der Universität heimkam, fand ich meinen Vater bei dem Herrn dieses Hauses, bei dem er Geschäfte hatte. Als dieser hörte, daß ich musikalische Kenntnisse besäße, fragte er, ob ich seiner Tochter Musik-Unterricht, geben wolle, ihr Verlobter, der Graf Stanislaus liebe Musik. Fräu- lein Hedwig war damals ein Jahr jünger als jetzt; man hatte die beiden jungen Leute schon als Kin- der verlobt -- ich blieb. Da kam die Revolution und der Krieg. Jch bat um eine Soldatenjacke, ich wollte ein Vaterland haben -- man gewährte sie mir. Mit Jhnen, mein Herr, kam ich zum ersten Mal seit dem December wieder hierher, und
grundlos elend. Sonſt kümmerte er ſich nicht um ſeinen Glauben, nur aus Stolz verließ er ihn nicht; er ließ mich gewähren, wenn ich mich um die Bräuche nicht kümmerte, er fragte nie darnach — jetzt iſt er bigott, ohne an ſeine neuen Dinge zu glauben. Er will einen Glauben haben, und zwar den ſtrengſten, um die Oede ſeines Weſens zu bevölkern. Jetzt mag ihm mein Heidenthum viel Herzeleid machen, obwohl er mir nimmer ein Wort darüber ſagt.“
„Als ich von der Univerſität heimkam, fand ich meinen Vater bei dem Herrn dieſes Hauſes, bei dem er Geſchäfte hatte. Als dieſer hörte, daß ich muſikaliſche Kenntniſſe beſäße, fragte er, ob ich ſeiner Tochter Muſik-Unterricht, geben wolle, ihr Verlobter, der Graf Stanislaus liebe Muſik. Fräu- lein Hedwig war damals ein Jahr jünger als jetzt; man hatte die beiden jungen Leute ſchon als Kin- der verlobt — ich blieb. Da kam die Revolution und der Krieg. Jch bat um eine Soldatenjacke, ich wollte ein Vaterland haben — man gewährte ſie mir. Mit Jhnen, mein Herr, kam ich zum erſten Mal ſeit dem December wieder hierher, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0080"n="70"/>
grundlos elend. Sonſt kümmerte er ſich nicht um<lb/>ſeinen Glauben, nur aus Stolz verließ er ihn nicht;<lb/>
er ließ mich gewähren, wenn ich mich um die<lb/>
Bräuche nicht kümmerte, er fragte nie darnach —<lb/>
jetzt iſt er bigott, ohne an ſeine neuen Dinge zu<lb/>
glauben. Er <hirendition="#g">will</hi> einen Glauben haben, und zwar<lb/>
den ſtrengſten, um die Oede ſeines Weſens zu<lb/>
bevölkern. Jetzt mag ihm mein Heidenthum viel<lb/>
Herzeleid machen, obwohl er mir nimmer ein Wort<lb/>
darüber ſagt.“</p><lb/><p>„Als ich von der Univerſität heimkam, fand<lb/>
ich meinen Vater bei dem Herrn dieſes Hauſes,<lb/>
bei dem er Geſchäfte hatte. Als dieſer hörte, daß<lb/>
ich muſikaliſche Kenntniſſe beſäße, fragte er, ob ich<lb/>ſeiner Tochter Muſik-Unterricht, geben wolle, ihr<lb/>
Verlobter, der Graf Stanislaus liebe Muſik. Fräu-<lb/>
lein Hedwig war damals ein Jahr jünger als jetzt;<lb/>
man hatte die beiden jungen Leute ſchon als Kin-<lb/>
der verlobt — ich blieb. Da kam die Revolution<lb/>
und der Krieg. Jch bat um eine Soldatenjacke,<lb/>
ich wollte ein Vaterland haben — man gewährte<lb/>ſie mir. Mit Jhnen, mein Herr, kam ich zum<lb/>
erſten Mal ſeit dem December wieder hierher, und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[70/0080]
grundlos elend. Sonſt kümmerte er ſich nicht um
ſeinen Glauben, nur aus Stolz verließ er ihn nicht;
er ließ mich gewähren, wenn ich mich um die
Bräuche nicht kümmerte, er fragte nie darnach —
jetzt iſt er bigott, ohne an ſeine neuen Dinge zu
glauben. Er will einen Glauben haben, und zwar
den ſtrengſten, um die Oede ſeines Weſens zu
bevölkern. Jetzt mag ihm mein Heidenthum viel
Herzeleid machen, obwohl er mir nimmer ein Wort
darüber ſagt.“
„Als ich von der Univerſität heimkam, fand
ich meinen Vater bei dem Herrn dieſes Hauſes,
bei dem er Geſchäfte hatte. Als dieſer hörte, daß
ich muſikaliſche Kenntniſſe beſäße, fragte er, ob ich
ſeiner Tochter Muſik-Unterricht, geben wolle, ihr
Verlobter, der Graf Stanislaus liebe Muſik. Fräu-
lein Hedwig war damals ein Jahr jünger als jetzt;
man hatte die beiden jungen Leute ſchon als Kin-
der verlobt — ich blieb. Da kam die Revolution
und der Krieg. Jch bat um eine Soldatenjacke,
ich wollte ein Vaterland haben — man gewährte
ſie mir. Mit Jhnen, mein Herr, kam ich zum
erſten Mal ſeit dem December wieder hierher, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/80>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.