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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

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begabtesten. Ein jeder von ihnen trägt seine Tra-
gödie im Herzen, die hebt und erquickt ihn. Der
Schmerz ist der edelste Reiz. -- --

Joel drückte ihm die Hand. Sein Schmerz
lös'te sich in einzelne Worte, endlich in eine zusam-
menhängende Erzählung auf. Und es ist mit dem
Schmerze ebenfalls wie mit schmollenden Liebesleu-
ten: wenn sie erst zu sprechen anfangen, und sich
ihr Leiden vorhalten, dann folgt auch die Ver-
söhnung.

Sein Vater Manasse spielte die Hauptrolle in
der Erzählung. "Dieser lange, magre Mann,"
sagte Joel, "war einst kräftig und schön, und in
seiner gefurchten Stirn liegen lange, abenteuerliche
Geschichten, unglückliche Geschichten. Er hat allen
Wissenschaften obgelegen, die den menschlichen Geist
anziehn, und nichts ist ihm geblieben, was sein
Alter reizt und mit Antheil erfüllt, als sein Geld
und sein Sohn. Nach jenem strecken tausend Diebe
die Hände, über Nacht kann es verschwunden sein;
der Sohn, sein Stab und seine Stütze verläßt ihn
mit Undank. Der Glaube, an den sich der Vater
krampfhaft klammert, obwohl er seinem Herzen

begabteſten. Ein jeder von ihnen trägt ſeine Tra-
gödie im Herzen, die hebt und erquickt ihn. Der
Schmerz iſt der edelſte Reiz. — —

Joel drückte ihm die Hand. Sein Schmerz
löſ’te ſich in einzelne Worte, endlich in eine zuſam-
menhängende Erzählung auf. Und es iſt mit dem
Schmerze ebenfalls wie mit ſchmollenden Liebesleu-
ten: wenn ſie erſt zu ſprechen anfangen, und ſich
ihr Leiden vorhalten, dann folgt auch die Ver-
ſöhnung.

Sein Vater Manaſſe ſpielte die Hauptrolle in
der Erzählung. „Dieſer lange, magre Mann,“
ſagte Joel, „war einſt kräftig und ſchön, und in
ſeiner gefurchten Stirn liegen lange, abenteuerliche
Geſchichten, unglückliche Geſchichten. Er hat allen
Wiſſenſchaften obgelegen, die den menſchlichen Geiſt
anziehn, und nichts iſt ihm geblieben, was ſein
Alter reizt und mit Antheil erfüllt, als ſein Geld
und ſein Sohn. Nach jenem ſtrecken tauſend Diebe
die Hände, über Nacht kann es verſchwunden ſein;
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[66/0076] begabteſten. Ein jeder von ihnen trägt ſeine Tra- gödie im Herzen, die hebt und erquickt ihn. Der Schmerz iſt der edelſte Reiz. — — Joel drückte ihm die Hand. Sein Schmerz löſ’te ſich in einzelne Worte, endlich in eine zuſam- menhängende Erzählung auf. Und es iſt mit dem Schmerze ebenfalls wie mit ſchmollenden Liebesleu- ten: wenn ſie erſt zu ſprechen anfangen, und ſich ihr Leiden vorhalten, dann folgt auch die Ver- ſöhnung. Sein Vater Manaſſe ſpielte die Hauptrolle in der Erzählung. „Dieſer lange, magre Mann,“ ſagte Joel, „war einſt kräftig und ſchön, und in ſeiner gefurchten Stirn liegen lange, abenteuerliche Geſchichten, unglückliche Geſchichten. Er hat allen Wiſſenſchaften obgelegen, die den menſchlichen Geiſt anziehn, und nichts iſt ihm geblieben, was ſein Alter reizt und mit Antheil erfüllt, als ſein Geld und ſein Sohn. Nach jenem ſtrecken tauſend Diebe die Hände, über Nacht kann es verſchwunden ſein; der Sohn, ſein Stab und ſeine Stütze verläßt ihn mit Undank. Der Glaube, an den ſich der Vater krampfhaft klammert, obwohl er ſeinem Herzen

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/76>, abgerufen am 06.05.2024.