Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

liche Vaterlandsliebe der Polen, welche man bei dem
sonstigen Wesen dieser Nation hier und da bereits
für Prahlerei hielt, hatte auf eine überraschende
Weise Wort gehalten. Und zwar unter den ungün-
stigsten Verhältnissen. Denn es gebrach ihnen vor
allen Dingen an einem Mittelpunkte ihrer militai-
rischen Kraft, an einem verlässigen Heerführer. Chlo-
picki in der Zeit des Aufstandes am letzten Tage
des November zum Oberbefehlshaber ernannt, hatte
nie an die Möglichkeit geglaubt, dem mächtigen
Rußland militairisch die Spitze bieten zu können,
hatte sich auf Unterhandlungen eingelassen, die Rü-
stungen vernachlässigt, und am Ende störrisch seine
Dictatur niedergelegt, als die zum Aeußersten ent-
schlossene Nation ihm in den Weg trat. Chlopicki
war aber der einzige populaire Mittelpunkt des
Heeres, unzweifelhaft tapfer und ein tüchtiger Füh-
rer aus der Napoleonischen Schule. Die Wahl
eines neuen Führers war unsäglich schwer. Einen
zweiten so hervorragenden General gab es nicht, jede
Wahl mußte also die nicht Gewählten kränken. Be-
sonders bei einer so ehrgeizigen und eifersüchtigen
Nation. Man entschloß sich zu dem traurigen Aus-

liche Vaterlandsliebe der Polen, welche man bei dem
ſonſtigen Weſen dieſer Nation hier und da bereits
für Prahlerei hielt, hatte auf eine überraſchende
Weiſe Wort gehalten. Und zwar unter den ungün-
ſtigſten Verhältniſſen. Denn es gebrach ihnen vor
allen Dingen an einem Mittelpunkte ihrer militai-
riſchen Kraft, an einem verläſſigen Heerführer. Chlo-
picki in der Zeit des Aufſtandes am letzten Tage
des November zum Oberbefehlshaber ernannt, hatte
nie an die Möglichkeit geglaubt, dem mächtigen
Rußland militairiſch die Spitze bieten zu können,
hatte ſich auf Unterhandlungen eingelaſſen, die Rü-
ſtungen vernachläſſigt, und am Ende ſtörriſch ſeine
Dictatur niedergelegt, als die zum Aeußerſten ent-
ſchloſſene Nation ihm in den Weg trat. Chlopicki
war aber der einzige populaire Mittelpunkt des
Heeres, unzweifelhaft tapfer und ein tüchtiger Füh-
rer aus der Napoleoniſchen Schule. Die Wahl
eines neuen Führers war unſäglich ſchwer. Einen
zweiten ſo hervorragenden General gab es nicht, jede
Wahl mußte alſo die nicht Gewählten kränken. Be-
ſonders bei einer ſo ehrgeizigen und eiferſüchtigen
Nation. Man entſchloß ſich zu dem traurigen Aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="21"/>
liche Vaterlandsliebe der Polen, welche man bei dem<lb/>
&#x017F;on&#x017F;tigen We&#x017F;en die&#x017F;er Nation hier und da bereits<lb/>
für Prahlerei hielt, hatte auf eine überra&#x017F;chende<lb/>
Wei&#x017F;e Wort gehalten. Und zwar unter den ungün-<lb/>
&#x017F;tig&#x017F;ten Verhältni&#x017F;&#x017F;en. Denn es gebrach ihnen vor<lb/>
allen Dingen an einem Mittelpunkte ihrer militai-<lb/>
ri&#x017F;chen Kraft, an einem verlä&#x017F;&#x017F;igen Heerführer. Chlo-<lb/>
picki in der Zeit des Auf&#x017F;tandes am letzten Tage<lb/>
des November zum Oberbefehlshaber ernannt, hatte<lb/>
nie an die Möglichkeit geglaubt, dem mächtigen<lb/>
Rußland militairi&#x017F;ch die Spitze bieten zu können,<lb/>
hatte &#x017F;ich auf Unterhandlungen eingela&#x017F;&#x017F;en, die Rü-<lb/>
&#x017F;tungen vernachlä&#x017F;&#x017F;igt, und am Ende &#x017F;törri&#x017F;ch &#x017F;eine<lb/>
Dictatur niedergelegt, als die zum Aeußer&#x017F;ten ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Nation ihm in den Weg trat. Chlopicki<lb/>
war aber der einzige populaire Mittelpunkt des<lb/>
Heeres, unzweifelhaft tapfer und ein tüchtiger Füh-<lb/>
rer aus der Napoleoni&#x017F;chen Schule. Die Wahl<lb/>
eines neuen Führers war un&#x017F;äglich &#x017F;chwer. Einen<lb/>
zweiten &#x017F;o hervorragenden General gab es nicht, jede<lb/>
Wahl mußte al&#x017F;o die nicht Gewählten kränken. Be-<lb/>
&#x017F;onders bei einer &#x017F;o ehrgeizigen und eifer&#x017F;üchtigen<lb/>
Nation. Man ent&#x017F;chloß &#x017F;ich zu dem traurigen Aus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0031] liche Vaterlandsliebe der Polen, welche man bei dem ſonſtigen Weſen dieſer Nation hier und da bereits für Prahlerei hielt, hatte auf eine überraſchende Weiſe Wort gehalten. Und zwar unter den ungün- ſtigſten Verhältniſſen. Denn es gebrach ihnen vor allen Dingen an einem Mittelpunkte ihrer militai- riſchen Kraft, an einem verläſſigen Heerführer. Chlo- picki in der Zeit des Aufſtandes am letzten Tage des November zum Oberbefehlshaber ernannt, hatte nie an die Möglichkeit geglaubt, dem mächtigen Rußland militairiſch die Spitze bieten zu können, hatte ſich auf Unterhandlungen eingelaſſen, die Rü- ſtungen vernachläſſigt, und am Ende ſtörriſch ſeine Dictatur niedergelegt, als die zum Aeußerſten ent- ſchloſſene Nation ihm in den Weg trat. Chlopicki war aber der einzige populaire Mittelpunkt des Heeres, unzweifelhaft tapfer und ein tüchtiger Füh- rer aus der Napoleoniſchen Schule. Die Wahl eines neuen Führers war unſäglich ſchwer. Einen zweiten ſo hervorragenden General gab es nicht, jede Wahl mußte alſo die nicht Gewählten kränken. Be- ſonders bei einer ſo ehrgeizigen und eiferſüchtigen Nation. Man entſchloß ſich zu dem traurigen Aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/31
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/31>, abgerufen am 21.11.2024.