Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

"Pfui doch, wie unartig, meine Mappe durch-
zustöbern! Wie kommen Sie denn überhaupt in
meine Zimmer? Und wer hat denn jene Thüren
geöffnet?"

Sie warf hastig die Flügelthüre ihres Schlaf-
zimmers herum. Unterdeß kam auch Hedwig her-
beigesprungen, schalt Stanislaus, daß er sich von
ihr und der Gesellschaft entferne, und zog ihn fort.
Die beiden Teutschen waren allein. Constantie ging
nach einem Winkel des Zimmers -- "Unartiger
Mensch, helfen Sie mir ein Buch finden."

Er sprang hinzu -- sie nannte aber keinen
Titel, und sah zerstreut unter die Bücher. Der
leichte Schatten von Verlegenheit, welcher sich über
ihr Wesen verbreitete, gab diesem glänzenden Wesen
einen um so höhern Reiz, je seltner er an ihr
wahrzunehmen war, je mehr er gegen das Herr-
schende und Jmponirende ihrer Erscheinung zu kon-
trastiren schien. Jhre rechte Hand tastete wie suchend
auf den Büchern umher, die linke strich leise an
den Falten des Gewandes entlang. Diese weiße
Hand schien alle ihre außergewöhnliche Unsicherheit
auszudrücken. Valerius ergriff sie leise, die weichen,

„Pfui doch, wie unartig, meine Mappe durch-
zuſtöbern! Wie kommen Sie denn überhaupt in
meine Zimmer? Und wer hat denn jene Thüren
geöffnet?“

Sie warf haſtig die Flügelthüre ihres Schlaf-
zimmers herum. Unterdeß kam auch Hedwig her-
beigeſprungen, ſchalt Stanislaus, daß er ſich von
ihr und der Geſellſchaft entferne, und zog ihn fort.
Die beiden Teutſchen waren allein. Conſtantie ging
nach einem Winkel des Zimmers — „Unartiger
Menſch, helfen Sie mir ein Buch finden.“

Er ſprang hinzu — ſie nannte aber keinen
Titel, und ſah zerſtreut unter die Bücher. Der
leichte Schatten von Verlegenheit, welcher ſich über
ihr Weſen verbreitete, gab dieſem glänzenden Weſen
einen um ſo höhern Reiz, je ſeltner er an ihr
wahrzunehmen war, je mehr er gegen das Herr-
ſchende und Jmponirende ihrer Erſcheinung zu kon-
traſtiren ſchien. Jhre rechte Hand taſtete wie ſuchend
auf den Büchern umher, die linke ſtrich leiſe an
den Falten des Gewandes entlang. Dieſe weiße
Hand ſchien alle ihre außergewöhnliche Unſicherheit
auszudrücken. Valerius ergriff ſie leiſe, die weichen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0222" n="212"/>
          <p>&#x201E;Pfui doch, wie unartig, meine Mappe durch-<lb/>
zu&#x017F;töbern! Wie kommen Sie denn überhaupt in<lb/>
meine Zimmer? Und wer hat denn jene Thüren<lb/>
geöffnet?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sie warf ha&#x017F;tig die Flügelthüre ihres Schlaf-<lb/>
zimmers herum. Unterdeß kam auch Hedwig her-<lb/>
beige&#x017F;prungen, &#x017F;chalt Stanislaus, daß er &#x017F;ich von<lb/>
ihr und der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft entferne, und zog ihn fort.<lb/>
Die beiden Teut&#x017F;chen waren allein. Con&#x017F;tantie ging<lb/>
nach einem Winkel des Zimmers &#x2014; &#x201E;Unartiger<lb/>
Men&#x017F;ch, helfen Sie mir ein Buch finden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;prang hinzu &#x2014; &#x017F;ie nannte aber keinen<lb/>
Titel, und &#x017F;ah zer&#x017F;treut unter die Bücher. Der<lb/>
leichte Schatten von Verlegenheit, welcher &#x017F;ich über<lb/>
ihr We&#x017F;en verbreitete, gab die&#x017F;em glänzenden We&#x017F;en<lb/>
einen um &#x017F;o höhern Reiz, je &#x017F;eltner er an ihr<lb/>
wahrzunehmen war, je mehr er gegen das Herr-<lb/>
&#x017F;chende und Jmponirende ihrer Er&#x017F;cheinung zu kon-<lb/>
tra&#x017F;tiren &#x017F;chien. Jhre rechte Hand ta&#x017F;tete wie &#x017F;uchend<lb/>
auf den Büchern umher, die linke &#x017F;trich lei&#x017F;e an<lb/>
den Falten des Gewandes entlang. Die&#x017F;e weiße<lb/>
Hand &#x017F;chien alle ihre außergewöhnliche Un&#x017F;icherheit<lb/>
auszudrücken. Valerius ergriff &#x017F;ie lei&#x017F;e, die weichen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0222] „Pfui doch, wie unartig, meine Mappe durch- zuſtöbern! Wie kommen Sie denn überhaupt in meine Zimmer? Und wer hat denn jene Thüren geöffnet?“ Sie warf haſtig die Flügelthüre ihres Schlaf- zimmers herum. Unterdeß kam auch Hedwig her- beigeſprungen, ſchalt Stanislaus, daß er ſich von ihr und der Geſellſchaft entferne, und zog ihn fort. Die beiden Teutſchen waren allein. Conſtantie ging nach einem Winkel des Zimmers — „Unartiger Menſch, helfen Sie mir ein Buch finden.“ Er ſprang hinzu — ſie nannte aber keinen Titel, und ſah zerſtreut unter die Bücher. Der leichte Schatten von Verlegenheit, welcher ſich über ihr Weſen verbreitete, gab dieſem glänzenden Weſen einen um ſo höhern Reiz, je ſeltner er an ihr wahrzunehmen war, je mehr er gegen das Herr- ſchende und Jmponirende ihrer Erſcheinung zu kon- traſtiren ſchien. Jhre rechte Hand taſtete wie ſuchend auf den Büchern umher, die linke ſtrich leiſe an den Falten des Gewandes entlang. Dieſe weiße Hand ſchien alle ihre außergewöhnliche Unſicherheit auszudrücken. Valerius ergriff ſie leiſe, die weichen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/222
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/222>, abgerufen am 04.12.2024.