"Es ist wirklich eine Maskerade," sprach er vor sich hin, "dies wunderliche Leben bis in das geheimste Treiben unserer Gedanken hinein, und es kommt nur auf die Beleuchtung an, ob sie ein schauerli- ches oder ein lustiges Ansehn haben soll. Solch eine gewöhnliche Redensart: das Leben ist eine Maskerade, und doch so tief und so richtig! Jm Grunde sind in den vulgärsten Sprichwörtern und Phrasen alle Wahrheiten längst aufgefunden, und es ist thöricht, sich darum zu quälen. Man ver- liert sein Leben, und die Welt gewinnt nichts Neues." -- --
Aber sein grübelnder Charakter verließ ihn auch in diesem Augenblicke nicht, auch von seinen glück- lichen Momenten verlangte er Rechenschaft. Er erin- nerte sich einer Zeit, wo diese Fürstin Constantie einen durchaus ungünstigen Eindruck auf ihn gemacht hatte: ihr männlicher Stolz, ihre Keckheit, des Lebens Freuden wie eine Titanin an sich zu reißen, hatte ihm mißfallen, entschieden mißfallen. Und er konnte sich doch nicht leugnen, daß ihre plötzliche Erscheinung ihn jetzt mit einer Art Zauber überwältigt hatte. Aber er leugnete sich's. Stanislaus und der tiese Blick, den
„Es iſt wirklich eine Maskerade,“ ſprach er vor ſich hin, „dies wunderliche Leben bis in das geheimſte Treiben unſerer Gedanken hinein, und es kommt nur auf die Beleuchtung an, ob ſie ein ſchauerli- ches oder ein luſtiges Anſehn haben ſoll. Solch eine gewöhnliche Redensart: das Leben iſt eine Maskerade, und doch ſo tief und ſo richtig! Jm Grunde ſind in den vulgärſten Sprichwörtern und Phraſen alle Wahrheiten längſt aufgefunden, und es iſt thöricht, ſich darum zu quälen. Man ver- liert ſein Leben, und die Welt gewinnt nichts Neues.“ — —
Aber ſein grübelnder Charakter verließ ihn auch in dieſem Augenblicke nicht, auch von ſeinen glück- lichen Momenten verlangte er Rechenſchaft. Er erin- nerte ſich einer Zeit, wo dieſe Fürſtin Conſtantie einen durchaus ungünſtigen Eindruck auf ihn gemacht hatte: ihr männlicher Stolz, ihre Keckheit, des Lebens Freuden wie eine Titanin an ſich zu reißen, hatte ihm mißfallen, entſchieden mißfallen. Und er konnte ſich doch nicht leugnen, daß ihre plötzliche Erſcheinung ihn jetzt mit einer Art Zauber überwältigt hatte. Aber er leugnete ſich’s. Stanislaus und der tieſe Blick, den
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„Es iſt wirklich eine Maskerade,“ ſprach er vor
ſich hin, „dies wunderliche Leben bis in das geheimſte
Treiben unſerer Gedanken hinein, und es kommt
nur auf die Beleuchtung an, ob ſie ein ſchauerli-
ches oder ein luſtiges Anſehn haben ſoll. Solch
eine gewöhnliche Redensart: das Leben iſt eine
Maskerade, und doch ſo tief und ſo richtig! Jm
Grunde ſind in den vulgärſten Sprichwörtern und
Phraſen alle Wahrheiten längſt aufgefunden, und
es iſt thöricht, ſich darum zu quälen. Man ver-
liert ſein Leben, und die Welt gewinnt nichts
Neues.“ — —
Aber ſein grübelnder Charakter verließ ihn auch
in dieſem Augenblicke nicht, auch von ſeinen glück-
lichen Momenten verlangte er Rechenſchaft. Er erin-
nerte ſich einer Zeit, wo dieſe Fürſtin Conſtantie
einen durchaus ungünſtigen Eindruck auf ihn gemacht
hatte: ihr männlicher Stolz, ihre Keckheit, des Lebens
Freuden wie eine Titanin an ſich zu reißen, hatte ihm
mißfallen, entſchieden mißfallen. Und er konnte ſich
doch nicht leugnen, daß ihre plötzliche Erſcheinung ihn
jetzt mit einer Art Zauber überwältigt hatte. Aber er
leugnete ſich’s. Stanislaus und der tieſe Blick, den
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/185>, abgerufen am 15.08.2024.
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