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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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gekommen, die Haare werden nicht mehr a la Caracalla
gestrichen, seit langer Zeit bin ich nicht mehr trunken
gewesen. Jetzt habe ich sogar das Wassertrinken gelernt,
seit kurzer Zeit rauche ich keinen Tabak mehr. Demnach
ist die Titulatur Falstaff antiquirt und gänzlich unpas¬
send geworden. Mit diesen alten Gewohnheiten ist auch
das vollblütige Phlegma von mir gewichen, und mir ist
viel leichter dabei. Es ist wirklich ein großer Unter¬
schied, ob einem Bier und Wein oder Blut in den
Adern fließt. Ich tummle mich jetzt mitunter in den
wahnsinnigsten Reimereien und nicht blos der Reimerei
wegen; mein früheres Schimpfen auf die bloße Form
kommt mir jetzt platt vor, auch die bloße Form ist ein
Leben und ihre Seelenfäden sind dem geübtesten Auge
sichtbar. Man muß das Auge üben. Früher sagte
ich: all' diese Künsteleien haben nicht das geringste Ver¬
dienst; ja sie sind nicht einmal mühsam, acht Tage Ue¬
bung und man macht Verse wie ein Blutigel. Es ist
wahr, ich habe es bald gelernt; aber ich glaube nicht,
daß es mir in meinem früheren Materialismus so leicht
geworden wäre; man muß eine geistigere Sauberkeit
dazu mitbringen.

Ich höre jetzt viel Musik. Daß Werdende, sich

gekommen, die Haare werden nicht mehr à la Caracalla
geſtrichen, ſeit langer Zeit bin ich nicht mehr trunken
geweſen. Jetzt habe ich ſogar das Waſſertrinken gelernt,
ſeit kurzer Zeit rauche ich keinen Tabak mehr. Demnach
iſt die Titulatur Falſtaff antiquirt und gänzlich unpaſ¬
ſend geworden. Mit dieſen alten Gewohnheiten iſt auch
das vollblütige Phlegma von mir gewichen, und mir iſt
viel leichter dabei. Es iſt wirklich ein großer Unter¬
ſchied, ob einem Bier und Wein oder Blut in den
Adern fließt. Ich tummle mich jetzt mitunter in den
wahnſinnigſten Reimereien und nicht blos der Reimerei
wegen; mein früheres Schimpfen auf die bloße Form
kommt mir jetzt platt vor, auch die bloße Form iſt ein
Leben und ihre Seelenfäden ſind dem geübteſten Auge
ſichtbar. Man muß das Auge üben. Früher ſagte
ich: all' dieſe Künſteleien haben nicht das geringſte Ver¬
dienſt; ja ſie ſind nicht einmal mühſam, acht Tage Ue¬
bung und man macht Verſe wie ein Blutigel. Es iſt
wahr, ich habe es bald gelernt; aber ich glaube nicht,
daß es mir in meinem früheren Materialismus ſo leicht
geworden wäre; man muß eine geiſtigere Sauberkeit
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[74/0086] gekommen, die Haare werden nicht mehr à la Caracalla geſtrichen, ſeit langer Zeit bin ich nicht mehr trunken geweſen. Jetzt habe ich ſogar das Waſſertrinken gelernt, ſeit kurzer Zeit rauche ich keinen Tabak mehr. Demnach iſt die Titulatur Falſtaff antiquirt und gänzlich unpaſ¬ ſend geworden. Mit dieſen alten Gewohnheiten iſt auch das vollblütige Phlegma von mir gewichen, und mir iſt viel leichter dabei. Es iſt wirklich ein großer Unter¬ ſchied, ob einem Bier und Wein oder Blut in den Adern fließt. Ich tummle mich jetzt mitunter in den wahnſinnigſten Reimereien und nicht blos der Reimerei wegen; mein früheres Schimpfen auf die bloße Form kommt mir jetzt platt vor, auch die bloße Form iſt ein Leben und ihre Seelenfäden ſind dem geübteſten Auge ſichtbar. Man muß das Auge üben. Früher ſagte ich: all' dieſe Künſteleien haben nicht das geringſte Ver¬ dienſt; ja ſie ſind nicht einmal mühſam, acht Tage Ue¬ bung und man macht Verſe wie ein Blutigel. Es iſt wahr, ich habe es bald gelernt; aber ich glaube nicht, daß es mir in meinem früheren Materialismus ſo leicht geworden wäre; man muß eine geiſtigere Sauberkeit dazu mitbringen. Ich höre jetzt viel Muſik. Daß Werdende, ſich

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/86>, abgerufen am 25.11.2024.