Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

gen, und wie klar liegt der Ursprung alles dessen vor
Augen.

Unfähig sich durch großartige Zusammendrängung
der neu entdeckten Gefühle und Gedankenkreise auszu¬
zeichnen, etwas die allgemeine Aufmerksamkeit Ueberwäl¬
tigendes zu liefern, aber doch gedrängt und gestachelt
durch weibische Eitelkeit, enthüllten sie wie jener Nann
in der Bibel die eigne Schaam, brachten sie die ganze
Rumpelkammer der früheren Poesie, die Hobelspäne der
früheren Werke hervor, putzten sie mit modernen Klei¬
dern auf, und gaben sie hin für Gedichte. Die faule
Welt, die so viel Sociales zu thun hatte, daß ihr keine
Zeit blieb für die Räume des besten inneren Menschen,
nahm die Wechselbälge wohlgefällig hin, weil sie in ihrer
bunten Tracht nur eines flüchtigen Blicks bedurften und
kein sorgfältiges Beschauen, keine Zeit, keine Thätigkeit
in Anspruch nahmen. Das einmal Gebilligte war Re¬
gel geworden und nächstens erwarte ich das Unanstän¬
digste, weil die heutige Welt doch erst auf der Spitze
des Berges umkehren wird. Es ist wie mit dem Ver¬
dauungsprozeß -- das isi ein Bild aus Eurer Schule --
der kranke Magen fördert die halbrohen Speisen weiter,
der gesunde zertheilt, zerlegt sie bis in die kleinsten Atome:

gen, und wie klar liegt der Urſprung alles deſſen vor
Augen.

Unfähig ſich durch großartige Zuſammendrängung
der neu entdeckten Gefühle und Gedankenkreiſe auszu¬
zeichnen, etwas die allgemeine Aufmerkſamkeit Ueberwäl¬
tigendes zu liefern, aber doch gedrängt und geſtachelt
durch weibiſche Eitelkeit, enthüllten ſie wie jener Nann
in der Bibel die eigne Schaam, brachten ſie die ganze
Rumpelkammer der früheren Poeſie, die Hobelſpäne der
früheren Werke hervor, putzten ſie mit modernen Klei¬
dern auf, und gaben ſie hin für Gedichte. Die faule
Welt, die ſo viel Sociales zu thun hatte, daß ihr keine
Zeit blieb für die Räume des beſten inneren Menſchen,
nahm die Wechſelbälge wohlgefällig hin, weil ſie in ihrer
bunten Tracht nur eines flüchtigen Blicks bedurften und
kein ſorgfältiges Beſchauen, keine Zeit, keine Thätigkeit
in Anſpruch nahmen. Das einmal Gebilligte war Re¬
gel geworden und nächſtens erwarte ich das Unanſtän¬
digſte, weil die heutige Welt doch erſt auf der Spitze
des Berges umkehren wird. Es iſt wie mit dem Ver¬
dauungsprozeß — das iſi ein Bild aus Eurer Schule —
der kranke Magen fördert die halbrohen Speiſen weiter,
der geſunde zertheilt, zerlegt ſie bis in die kleinſten Atome:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="32"/>
gen, und wie klar liegt der Ur&#x017F;prung alles de&#x017F;&#x017F;en vor<lb/>
Augen.</p><lb/>
        <p>Unfähig &#x017F;ich durch großartige Zu&#x017F;ammendrängung<lb/>
der neu entdeckten Gefühle und Gedankenkrei&#x017F;e auszu¬<lb/>
zeichnen, etwas die allgemeine Aufmerk&#x017F;amkeit Ueberwäl¬<lb/>
tigendes zu liefern, aber doch gedrängt und ge&#x017F;tachelt<lb/>
durch weibi&#x017F;che Eitelkeit, enthüllten &#x017F;ie wie jener Nann<lb/>
in der Bibel die eigne Schaam, brachten &#x017F;ie die ganze<lb/>
Rumpelkammer der früheren Poe&#x017F;ie, die Hobel&#x017F;päne der<lb/>
früheren Werke hervor, putzten &#x017F;ie mit modernen Klei¬<lb/>
dern auf, und gaben &#x017F;ie hin für Gedichte. Die faule<lb/>
Welt, die &#x017F;o viel Sociales zu thun hatte, daß ihr keine<lb/>
Zeit blieb für die Räume des be&#x017F;ten inneren Men&#x017F;chen,<lb/>
nahm die Wech&#x017F;elbälge wohlgefällig hin, weil &#x017F;ie in ihrer<lb/>
bunten Tracht nur eines flüchtigen Blicks bedurften und<lb/>
kein &#x017F;orgfältiges Be&#x017F;chauen, keine Zeit, keine Thätigkeit<lb/>
in An&#x017F;pruch nahmen. Das einmal Gebilligte war Re¬<lb/>
gel geworden und näch&#x017F;tens erwarte ich das Unan&#x017F;tän¬<lb/>
dig&#x017F;te, weil die heutige Welt doch er&#x017F;t auf der Spitze<lb/>
des Berges umkehren wird. Es i&#x017F;t wie mit dem Ver¬<lb/>
dauungsprozeß &#x2014; das i&#x017F;i ein Bild aus Eurer Schule &#x2014;<lb/>
der kranke Magen fördert die halbrohen Spei&#x017F;en weiter,<lb/>
der ge&#x017F;unde zertheilt, zerlegt &#x017F;ie bis in die klein&#x017F;ten Atome:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] gen, und wie klar liegt der Urſprung alles deſſen vor Augen. Unfähig ſich durch großartige Zuſammendrängung der neu entdeckten Gefühle und Gedankenkreiſe auszu¬ zeichnen, etwas die allgemeine Aufmerkſamkeit Ueberwäl¬ tigendes zu liefern, aber doch gedrängt und geſtachelt durch weibiſche Eitelkeit, enthüllten ſie wie jener Nann in der Bibel die eigne Schaam, brachten ſie die ganze Rumpelkammer der früheren Poeſie, die Hobelſpäne der früheren Werke hervor, putzten ſie mit modernen Klei¬ dern auf, und gaben ſie hin für Gedichte. Die faule Welt, die ſo viel Sociales zu thun hatte, daß ihr keine Zeit blieb für die Räume des beſten inneren Menſchen, nahm die Wechſelbälge wohlgefällig hin, weil ſie in ihrer bunten Tracht nur eines flüchtigen Blicks bedurften und kein ſorgfältiges Beſchauen, keine Zeit, keine Thätigkeit in Anſpruch nahmen. Das einmal Gebilligte war Re¬ gel geworden und nächſtens erwarte ich das Unanſtän¬ digſte, weil die heutige Welt doch erſt auf der Spitze des Berges umkehren wird. Es iſt wie mit dem Ver¬ dauungsprozeß — das iſi ein Bild aus Eurer Schule — der kranke Magen fördert die halbrohen Speiſen weiter, der geſunde zertheilt, zerlegt ſie bis in die kleinſten Atome:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/42
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/42>, abgerufen am 21.11.2024.