Sieh, ich weiß das alles noch, aber wir sind ein¬ mal raisonnirende Thiere, wir müssen beim Wiederkäuen des fremden Stoffes eignes Material dazu bringen -- es ist wahr, wir können nicht die einfachste Sache rich¬ tig erzählen, wir erzählen uns mit hinein. Ich möcht' es nicht Egoismus nennen, aber Eitelkeit des Jahrhun¬ derts ist es gewiß. Der Egoismus ist ja -- so sagt Valerius -- der Feind, gegen welchen die ganze neue Bewegung sich richtet; aber die Welt ist erst tugendhaft wie ein Jüngling, daß heißt, eitel tugendhaft, sie spen¬ det die Wohlthat an den Straßenecken. Und dieser so¬ genannte Geist der Zeit ist allerdings eine Art Miasma, er dringt überall hin, durch alle Kontumazen und Bar¬ rieren -- ich wehre mich der Bequemlichkeit halber hef¬ tig gegen ihn, einen Fetzen seiner Eitelkeitslivree merk' ich doch bald hie, bald da an mir. Das ist nun des konsequenten Valerius Freude, der da meint, der wil¬ deste Ultra werde allmählig zum Mittelpunkte gedrängt, er möge sich sträuben, so sehr er wolle. Das nennt er die Bewegung der Erde und der Civilisation. Auf dem unbemerkt fortgleitenden Schiffe stehe der Stabilitätsmann, zeige auf die Ufer, welche sich scheinbar bewegen und perorire, dort sei die einzige Bewegung, welche Noth
Sieh, ich weiß das alles noch, aber wir ſind ein¬ mal raiſonnirende Thiere, wir müſſen beim Wiederkäuen des fremden Stoffes eignes Material dazu bringen — es iſt wahr, wir können nicht die einfachſte Sache rich¬ tig erzählen, wir erzählen uns mit hinein. Ich möcht' es nicht Egoismus nennen, aber Eitelkeit des Jahrhun¬ derts iſt es gewiß. Der Egoismus iſt ja — ſo ſagt Valerius — der Feind, gegen welchen die ganze neue Bewegung ſich richtet; aber die Welt iſt erſt tugendhaft wie ein Jüngling, daß heißt, eitel tugendhaft, ſie ſpen¬ det die Wohlthat an den Straßenecken. Und dieſer ſo¬ genannte Geiſt der Zeit iſt allerdings eine Art Miasma, er dringt überall hin, durch alle Kontumazen und Bar¬ rieren — ich wehre mich der Bequemlichkeit halber hef¬ tig gegen ihn, einen Fetzen ſeiner Eitelkeitslivree merk' ich doch bald hie, bald da an mir. Das iſt nun des konſequenten Valerius Freude, der da meint, der wil¬ deſte Ultra werde allmählig zum Mittelpunkte gedrängt, er möge ſich ſträuben, ſo ſehr er wolle. Das nennt er die Bewegung der Erde und der Civiliſation. Auf dem unbemerkt fortgleitenden Schiffe ſtehe der Stabilitätsmann, zeige auf die Ufer, welche ſich ſcheinbar bewegen und perorire, dort ſei die einzige Bewegung, welche Noth
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Sieh, ich weiß das alles noch, aber wir ſind ein¬
mal raiſonnirende Thiere, wir müſſen beim Wiederkäuen
des fremden Stoffes eignes Material dazu bringen —
es iſt wahr, wir können nicht die einfachſte Sache rich¬
tig erzählen, wir erzählen uns mit hinein. Ich möcht'
es nicht Egoismus nennen, aber Eitelkeit des Jahrhun¬
derts iſt es gewiß. Der Egoismus iſt ja — ſo ſagt
Valerius — der Feind, gegen welchen die ganze neue
Bewegung ſich richtet; aber die Welt iſt erſt tugendhaft
wie ein Jüngling, daß heißt, eitel tugendhaft, ſie ſpen¬
det die Wohlthat an den Straßenecken. Und dieſer ſo¬
genannte Geiſt der Zeit iſt allerdings eine Art Miasma,
er dringt überall hin, durch alle Kontumazen und Bar¬
rieren — ich wehre mich der Bequemlichkeit halber hef¬
tig gegen ihn, einen Fetzen ſeiner Eitelkeitslivree merk'
ich doch bald hie, bald da an mir. Das iſt nun des
konſequenten Valerius Freude, der da meint, der wil¬
deſte Ultra werde allmählig zum Mittelpunkte gedrängt,
er möge ſich ſträuben, ſo ſehr er wolle. Das nennt er
die Bewegung der Erde und der Civiliſation. Auf dem
unbemerkt fortgleitenden Schiffe ſtehe der Stabilitätsmann,
zeige auf die Ufer, welche ſich ſcheinbar bewegen und
perorire, dort ſei die einzige Bewegung, welche Noth
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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