Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

beschäftigt habe, sah sie mich fragend an, wo ich hin¬
aus wollte und erwiderte naiv: mit Vielerlei, früh bin
ich spaziren gegangen, Nachmittags gefahren, und eh'
ich hierher kam, hab' ich einen Akt in der Oper gesehn.
Nun bedenken Sie, mein Fräulein, ob der Mann dort
im Winkel mit dem jungen leidenden Gesicht Recht hat:
ich habe eben mit ihm gesprochen und weiß, daß er heute
den ganzen Tag alle alten Rechtsgelehrten in allen Spra¬
chen studirt hat, wie und unter welchen Verhältnissen
Revolutionen erlaubt seien -- daß er einen Artikel über
Abschaffung der Todesstrafe geschrieben hat, aber freilich
nicht spazieren gefahren und nicht in der Oper gewesen
ist. Wollen Sie ihm nun nicht erlauben -- --

Sie meinte, er hätte was Besseres thun können,
und -- ward von der Fürstin abgerufen, und mit ei¬
nem Geschäft entfernt. So ging mir's mit einer zwei¬
den, einer dritten, bis ich mich selbst entfernte. --

Desdemona, deren tiefes Spiel, deren blutende
Seele nur von den besseren Zuschauern im Theater er¬
kannt wurde, und deren giebts in den deutschen Theatern
sehr wenige, ward meisthin wenig applaudirt, das hohle
dreschende Volk neben ihr mit dem bestialischen Spekta¬
kel galt immer mehr; -- das war sie gewohnt und es

beſchäftigt habe, ſah ſie mich fragend an, wo ich hin¬
aus wollte und erwiderte naiv: mit Vielerlei, früh bin
ich ſpaziren gegangen, Nachmittags gefahren, und eh'
ich hierher kam, hab' ich einen Akt in der Oper geſehn.
Nun bedenken Sie, mein Fräulein, ob der Mann dort
im Winkel mit dem jungen leidenden Geſicht Recht hat:
ich habe eben mit ihm geſprochen und weiß, daß er heute
den ganzen Tag alle alten Rechtsgelehrten in allen Spra¬
chen ſtudirt hat, wie und unter welchen Verhältniſſen
Revolutionen erlaubt ſeien — daß er einen Artikel über
Abſchaffung der Todesſtrafe geſchrieben hat, aber freilich
nicht ſpazieren gefahren und nicht in der Oper geweſen
iſt. Wollen Sie ihm nun nicht erlauben — —

Sie meinte, er hätte was Beſſeres thun können,
und — ward von der Fürſtin abgerufen, und mit ei¬
nem Geſchäft entfernt. So ging mir's mit einer zwei¬
den, einer dritten, bis ich mich ſelbſt entfernte. —

Desdemona, deren tiefes Spiel, deren blutende
Seele nur von den beſſeren Zuſchauern im Theater er¬
kannt wurde, und deren giebts in den deutſchen Theatern
ſehr wenige, ward meiſthin wenig applaudirt, das hohle
dreſchende Volk neben ihr mit dem beſtialiſchen Spekta¬
kel galt immer mehr; — das war ſie gewohnt und es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="148"/>
be&#x017F;chäftigt habe, &#x017F;ah &#x017F;ie mich fragend an, wo ich hin¬<lb/>
aus wollte und erwiderte naiv: mit Vielerlei, früh bin<lb/>
ich &#x017F;paziren gegangen, Nachmittags gefahren, und eh'<lb/>
ich hierher kam, hab' ich einen Akt in der Oper <hi rendition="#g">ge&#x017F;ehn</hi>.<lb/>
Nun bedenken Sie, mein Fräulein, ob der Mann dort<lb/>
im Winkel mit dem jungen leidenden Ge&#x017F;icht Recht hat:<lb/>
ich habe eben mit ihm ge&#x017F;prochen und weiß, daß er heute<lb/>
den ganzen Tag alle alten Rechtsgelehrten in allen Spra¬<lb/>
chen &#x017F;tudirt hat, wie und unter welchen Verhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Revolutionen erlaubt &#x017F;eien &#x2014; daß er einen Artikel über<lb/>
Ab&#x017F;chaffung der Todes&#x017F;trafe ge&#x017F;chrieben hat, aber freilich<lb/>
nicht &#x017F;pazieren gefahren und nicht in der Oper gewe&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t. Wollen Sie ihm nun nicht erlauben &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Sie meinte, er hätte was Be&#x017F;&#x017F;eres thun können,<lb/>
und &#x2014; ward von der Für&#x017F;tin abgerufen, und mit ei¬<lb/>
nem Ge&#x017F;chäft entfernt. So ging mir's mit einer zwei¬<lb/>
den, einer dritten, bis ich mich &#x017F;elb&#x017F;t entfernte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Desdemona, deren tiefes Spiel, deren blutende<lb/>
Seele nur von den be&#x017F;&#x017F;eren Zu&#x017F;chauern im Theater er¬<lb/>
kannt wurde, und deren giebts in den deut&#x017F;chen Theatern<lb/>
&#x017F;ehr wenige, ward mei&#x017F;thin wenig applaudirt, das hohle<lb/>
dre&#x017F;chende Volk neben ihr mit dem be&#x017F;tiali&#x017F;chen Spekta¬<lb/>
kel galt immer mehr; &#x2014; das war &#x017F;ie gewohnt und es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0158] beſchäftigt habe, ſah ſie mich fragend an, wo ich hin¬ aus wollte und erwiderte naiv: mit Vielerlei, früh bin ich ſpaziren gegangen, Nachmittags gefahren, und eh' ich hierher kam, hab' ich einen Akt in der Oper geſehn. Nun bedenken Sie, mein Fräulein, ob der Mann dort im Winkel mit dem jungen leidenden Geſicht Recht hat: ich habe eben mit ihm geſprochen und weiß, daß er heute den ganzen Tag alle alten Rechtsgelehrten in allen Spra¬ chen ſtudirt hat, wie und unter welchen Verhältniſſen Revolutionen erlaubt ſeien — daß er einen Artikel über Abſchaffung der Todesſtrafe geſchrieben hat, aber freilich nicht ſpazieren gefahren und nicht in der Oper geweſen iſt. Wollen Sie ihm nun nicht erlauben — — Sie meinte, er hätte was Beſſeres thun können, und — ward von der Fürſtin abgerufen, und mit ei¬ nem Geſchäft entfernt. So ging mir's mit einer zwei¬ den, einer dritten, bis ich mich ſelbſt entfernte. — Desdemona, deren tiefes Spiel, deren blutende Seele nur von den beſſeren Zuſchauern im Theater er¬ kannt wurde, und deren giebts in den deutſchen Theatern ſehr wenige, ward meiſthin wenig applaudirt, das hohle dreſchende Volk neben ihr mit dem beſtialiſchen Spekta¬ kel galt immer mehr; — das war ſie gewohnt und es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/158
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/158>, abgerufen am 08.05.2024.