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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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im Cotillon etc. und was dies Geschmeiß der Civilisation
dergleichen schwatzt. Der Adel als Begriff und Masse
ist wirklich in heutiger Zeit, wie Valerius sagt, ein In¬
dianerstamm, dessen Farbe europäisch geworden, dessen Cha¬
rakter aber wild geblieben ist. Die spätern Historiker werden
unsern Adel als naturhistorische Merkwürdigkeit aufführen.

Die Fürstin war so umlagert, daß ich nicht zu
ihr konnte. Aber wo wäre ein Mann so klug wie ein
Weib. Beim Contretanz stand sie plötzlich mit ihrem
Tänzer neben mir und ich hatte es kaum gesehen, als
ich auch schon die Frage nach den Poeten beantworten
mußte. Sie tanzte mit ihrem Schwager. Er sah sehr
ernsthaft aus und maaß mich mit stolzen Blicken. Meine
lange Gestalt machte ihm viel zu schaffen, er schien
nicht einig zu werden über das Maaß und fing immer
wieder von Neuem an. Da ich dort nichts übelnehmen
konnte, so lachte ich, das machte ihn noch ernsthafter.
Constantie ignorirte mich -- Alles flüsterte, sie sei nie
so schön gewesen. Ein Weib kann noch so schön sein,
die Liebe macht sie doch erst reizend.

Die Nacht kam und ging, ich mit ihr. Diesel¬
ben Scenen wiederholten sich; Constantie, die früher
nur auflodernd heiß gegen mich war, wurde von Tag

im Cotillon ꝛc. und was dies Geſchmeiß der Civiliſation
dergleichen ſchwatzt. Der Adel als Begriff und Maſſe
iſt wirklich in heutiger Zeit, wie Valerius ſagt, ein In¬
dianerſtamm, deſſen Farbe europäiſch geworden, deſſen Cha¬
rakter aber wild geblieben iſt. Die ſpätern Hiſtoriker werden
unſern Adel als naturhiſtoriſche Merkwürdigkeit aufführen.

Die Fürſtin war ſo umlagert, daß ich nicht zu
ihr konnte. Aber wo wäre ein Mann ſo klug wie ein
Weib. Beim Contretanz ſtand ſie plötzlich mit ihrem
Tänzer neben mir und ich hatte es kaum geſehen, als
ich auch ſchon die Frage nach den Poeten beantworten
mußte. Sie tanzte mit ihrem Schwager. Er ſah ſehr
ernſthaft aus und maaß mich mit ſtolzen Blicken. Meine
lange Geſtalt machte ihm viel zu ſchaffen, er ſchien
nicht einig zu werden über das Maaß und fing immer
wieder von Neuem an. Da ich dort nichts übelnehmen
konnte, ſo lachte ich, das machte ihn noch ernſthafter.
Conſtantie ignorirte mich — Alles flüſterte, ſie ſei nie
ſo ſchön geweſen. Ein Weib kann noch ſo ſchön ſein,
die Liebe macht ſie doch erſt reizend.

Die Nacht kam und ging, ich mit ihr. Dieſel¬
ben Scenen wiederholten ſich; Conſtantie, die früher
nur auflodernd heiß gegen mich war, wurde von Tag

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[135/0145] im Cotillon ꝛc. und was dies Geſchmeiß der Civiliſation dergleichen ſchwatzt. Der Adel als Begriff und Maſſe iſt wirklich in heutiger Zeit, wie Valerius ſagt, ein In¬ dianerſtamm, deſſen Farbe europäiſch geworden, deſſen Cha¬ rakter aber wild geblieben iſt. Die ſpätern Hiſtoriker werden unſern Adel als naturhiſtoriſche Merkwürdigkeit aufführen. Die Fürſtin war ſo umlagert, daß ich nicht zu ihr konnte. Aber wo wäre ein Mann ſo klug wie ein Weib. Beim Contretanz ſtand ſie plötzlich mit ihrem Tänzer neben mir und ich hatte es kaum geſehen, als ich auch ſchon die Frage nach den Poeten beantworten mußte. Sie tanzte mit ihrem Schwager. Er ſah ſehr ernſthaft aus und maaß mich mit ſtolzen Blicken. Meine lange Geſtalt machte ihm viel zu ſchaffen, er ſchien nicht einig zu werden über das Maaß und fing immer wieder von Neuem an. Da ich dort nichts übelnehmen konnte, ſo lachte ich, das machte ihn noch ernſthafter. Conſtantie ignorirte mich — Alles flüſterte, ſie ſei nie ſo ſchön geweſen. Ein Weib kann noch ſo ſchön ſein, die Liebe macht ſie doch erſt reizend. Die Nacht kam und ging, ich mit ihr. Dieſel¬ ben Scenen wiederholten ſich; Conſtantie, die früher nur auflodernd heiß gegen mich war, wurde von Tag

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/145>, abgerufen am 07.05.2024.