die krankhafte Beschreibung solcher hysterischen Schön¬ heiten, wie sie in den sogenannten schlüpfrigen Ro¬ manen zu finden. Beides schwächt die Sinne. Die Natur in ihrer ungeschminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬ heit ist immer edel und schön, ihre Verkünstelung ist krankhaft. Weil der Novellist nicht den Muth hat, die unverhüllte Form zu zeigen, so hat er auch nicht den Muth, sie zu bewundern, und er giebt Dekokte für die baare Schönheit. Darin besteht ja die Fülle von Vollkommenheit in der Poesie, daß ihr alle Künste zu Gebote stehen, und wer die plastische verdirbt und einen löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬ stiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, schrieben unsre Bildhauer Novellen: das könnte eine stärkende Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei Heinse, die einfachen Homöopathen der Beschreibung. Das ist es, worin ich ganz mit Valer übereinstimme, nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen des Praxiteles nachgeht, ich die dreisten Linien des Phidias vorziehe. William hat gar kein Verständniß dafür und ich fürchte, der kleine Provencale nimmt mehr das Lüsterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil es entnervt.
6
die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬ heiten, wie ſie in den ſogenannten ſchlüpfrigen Ro¬ manen zu finden. Beides ſchwächt die Sinne. Die Natur in ihrer ungeſchminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬ heit iſt immer edel und ſchön, ihre Verkünſtelung iſt krankhaft. Weil der Novelliſt nicht den Muth hat, die unverhüllte Form zu zeigen, ſo hat er auch nicht den Muth, ſie zu bewundern, und er giebt Dekokte für die baare Schönheit. Darin beſteht ja die Fülle von Vollkommenheit in der Poeſie, daß ihr alle Künſte zu Gebote ſtehen, und wer die plaſtiſche verdirbt und einen löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬ ſtiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, ſchrieben unſre Bildhauer Novellen: das könnte eine ſtärkende Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei Heinſe, die einfachen Homöopathen der Beſchreibung. Das iſt es, worin ich ganz mit Valer übereinſtimme, nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen des Praxiteles nachgeht, ich die dreiſten Linien des Phidias vorziehe. William hat gar kein Verſtändniß dafür und ich fürchte, der kleine Provençale nimmt mehr das Lüſterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil es entnervt.
6
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0131"n="121"/>
die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬<lb/>
heiten, wie ſie in den ſogenannten ſchlüpfrigen Ro¬<lb/>
manen zu finden. Beides ſchwächt die Sinne. Die<lb/>
Natur in ihrer ungeſchminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬<lb/>
heit iſt immer edel und ſchön, ihre Verkünſtelung iſt<lb/>
krankhaft. Weil der Novelliſt nicht den Muth hat,<lb/>
die unverhüllte Form zu zeigen, ſo hat er auch nicht<lb/>
den Muth, ſie zu bewundern, und er giebt Dekokte für<lb/>
die baare Schönheit. Darin beſteht ja die Fülle von<lb/>
Vollkommenheit in der Poeſie, daß ihr alle Künſte zu<lb/>
Gebote ſtehen, und wer die plaſtiſche verdirbt und einen<lb/>
löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬<lb/>ſtiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, ſchrieben<lb/>
unſre Bildhauer Novellen: das könnte eine ſtärkende<lb/>
Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei<lb/>
Heinſe, die einfachen Homöopathen der Beſchreibung.<lb/>
Das iſt es, worin ich ganz mit Valer übereinſtimme,<lb/>
nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen<lb/>
des Praxiteles nachgeht, ich die dreiſten Linien des<lb/>
Phidias vorziehe. William hat gar kein Verſtändniß<lb/>
dafür und ich fürchte, der kleine Proven<hirendition="#aq">ç</hi>ale nimmt<lb/>
mehr das Lüſterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil<lb/>
es entnervt.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">6<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[121/0131]
die krankhafte Beſchreibung ſolcher hyſteriſchen Schön¬
heiten, wie ſie in den ſogenannten ſchlüpfrigen Ro¬
manen zu finden. Beides ſchwächt die Sinne. Die
Natur in ihrer ungeſchminkten Schönheit, in ihrer Nackt¬
heit iſt immer edel und ſchön, ihre Verkünſtelung iſt
krankhaft. Weil der Novelliſt nicht den Muth hat,
die unverhüllte Form zu zeigen, ſo hat er auch nicht
den Muth, ſie zu bewundern, und er giebt Dekokte für
die baare Schönheit. Darin beſteht ja die Fülle von
Vollkommenheit in der Poeſie, daß ihr alle Künſte zu
Gebote ſtehen, und wer die plaſtiſche verdirbt und einen
löchrigen Mantel über die nackte Statue wirft, be¬
ſtiehlt den Roman. Was gäbe ich darum, ſchrieben
unſre Bildhauer Novellen: das könnte eine ſtärkende
Kur werden; was gäbe ich darum, lebten noch zwei
Heinſe, die einfachen Homöopathen der Beſchreibung.
Das iſt es, worin ich ganz mit Valer übereinſtimme,
nur, daß er mit größerer Vorliebe den weichen Formen
des Praxiteles nachgeht, ich die dreiſten Linien des
Phidias vorziehe. William hat gar kein Verſtändniß
dafür und ich fürchte, der kleine Provençale nimmt
mehr das Lüſterne heraus, was ich ganz verwerfe, weil
es entnervt.
6
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/131>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.