Zeug, ich sagte ihm noch dreimal, daß er Recht habe, dann schwieg ich, legte mich an den Pfeiler und litt mit des Mohren Weibe. Zwei Striche für Jago und er ist der stärkste Engel. Shakespeare hätte den Raphael über¬ treffen können, der mit zwei Strichen Weinen in Lachen verwandelte. Es ist die fürchterlichste Potenz von mensch¬ licher Kraft in diesem Jago -- Shakespeare muß ein starker Mensch gewesen sein, sonst hätte er nie einen Jago zeichnen können. Es ist die verzeihlichste Schwäche, ei¬ nen großen Menschen anzubeten, ich verzeihe drum gern der Welt die Tändeleien mit dem dogmatischen Christen¬ thume -- wenn mich Shakespeare nicht umarmen wollte, so würde ich seine Füße küssen. O Gesundheit! du Seele der Welt, warum hast du die Poeten verlassen? Ich danke der Geschichte nur für zwei Bücher, die sie gerettet, für den gesunden Homer und den gesunden, strotzend gesunden Shakespeare.
Alles war todt; ich vergaß das Fortgehen. "Ich hoffe Sie mehr zu sprechen" -- hörte ich neben mir und gewann kaum Zeit, der fortrauschenden Fürstin mich zu empfehlen. Die Nacht und den andern Tag hatte ich für Niemand Zeit. Shakespeare war bei mir, ich hielt Thür und Fenster verschlossen. An Desdemona
Zeug, ich ſagte ihm noch dreimal, daß er Recht habe, dann ſchwieg ich, legte mich an den Pfeiler und litt mit des Mohren Weibe. Zwei Striche für Jago und er iſt der ſtärkſte Engel. Shakespeare hätte den Raphael über¬ treffen können, der mit zwei Strichen Weinen in Lachen verwandelte. Es iſt die fürchterlichſte Potenz von menſch¬ licher Kraft in dieſem Jago — Shakespeare muß ein ſtarker Menſch geweſen ſein, ſonſt hätte er nie einen Jago zeichnen können. Es iſt die verzeihlichſte Schwäche, ei¬ nen großen Menſchen anzubeten, ich verzeihe drum gern der Welt die Tändeleien mit dem dogmatiſchen Chriſten¬ thume — wenn mich Shakespeare nicht umarmen wollte, ſo würde ich ſeine Füße küſſen. O Geſundheit! du Seele der Welt, warum haſt du die Poeten verlaſſen? Ich danke der Geſchichte nur für zwei Bücher, die ſie gerettet, für den geſunden Homer und den geſunden, ſtrotzend geſunden Shakespeare.
Alles war todt; ich vergaß das Fortgehen. „Ich hoffe Sie mehr zu ſprechen“ — hörte ich neben mir und gewann kaum Zeit, der fortrauſchenden Fürſtin mich zu empfehlen. Die Nacht und den andern Tag hatte ich für Niemand Zeit. Shakespeare war bei mir, ich hielt Thür und Fenſter verſchloſſen. An Desdemona
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Zeug, ich ſagte ihm noch dreimal, daß er Recht habe, dann
ſchwieg ich, legte mich an den Pfeiler und litt mit des
Mohren Weibe. Zwei Striche für Jago und er iſt der
ſtärkſte Engel. Shakespeare hätte den Raphael über¬
treffen können, der mit zwei Strichen Weinen in Lachen
verwandelte. Es iſt die fürchterlichſte Potenz von menſch¬
licher Kraft in dieſem Jago — Shakespeare muß ein
ſtarker Menſch geweſen ſein, ſonſt hätte er nie einen Jago
zeichnen können. Es iſt die verzeihlichſte Schwäche, ei¬
nen großen Menſchen anzubeten, ich verzeihe drum gern
der Welt die Tändeleien mit dem dogmatiſchen Chriſten¬
thume — wenn mich Shakespeare nicht umarmen wollte,
ſo würde ich ſeine Füße küſſen. O Geſundheit! du
Seele der Welt, warum haſt du die Poeten verlaſſen?
Ich danke der Geſchichte nur für zwei Bücher, die ſie
gerettet, für den geſunden Homer und den geſunden,
ſtrotzend geſunden Shakespeare.
Alles war todt; ich vergaß das Fortgehen. „Ich
hoffe Sie mehr zu ſprechen“ — hörte ich neben mir
und gewann kaum Zeit, der fortrauſchenden Fürſtin
mich zu empfehlen. Die Nacht und den andern Tag
hatte ich für Niemand Zeit. Shakespeare war bei mir,
ich hielt Thür und Fenſter verſchloſſen. An Desdemona
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/113>, abgerufen am 17.02.2025.
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