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Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.

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Einleitung.
weis vor die Thür oben gelegt? -- Ja! -- Das sind
ihre Reitpferde in der Walpurgisnacht, und in der
Nacht haben wir auch mein Lebtag nicht gebraut. Das
kann ich ihr nicht wehren; aber sie ist auch nicht im
Stande, in der übrigen Jahreszeit über die Besen hin-
wegzusteigen, denn sie sind halt für sie so groß wie Reit-
pferde. Und der Brauer nimmt sie auch nicht weg,
nicht oben, nicht unten, denn er weiß gar gut, daß das
Bier nur geräth, wenn die bösen Geister in's Brauhaus
selbst nicht herein schlüpfen dürfen. Zum Malz braucht
er sie, das Bier verderben sie --

Diesen Dualismus entwickelte nun das Mütterchen
in allerlei grauslichen Geschichten, welche ich hier nicht
auftischen will. Plötzlich schlief sie ein, ohne Kopf oder
Schulter irgendwo anzulehnen. Sie war so kurz zusam-
mengebaut, daß sie keinerlei Stütze beim Schlafen zu
brauchen schien; ich habe nie gesehen, daß sie sich nieder-
gelegt und daß sie anders als kerzengerad sitzend, die kurzen
Hände im Schooß gefaltet, geschlafen hätte. Von diesem
Momente des Einschlafens begann meine Noth. Voll
solcher Geschichten und verworrener Anschauungen fürch-
tete ich mich nun, wenn dies das richtige Wort ist, in dem
hohen wüsten Raume, dessen hoch oben angebrachte Fen-
ster sämmtlich offen und überhaupt nur Löcher waren.
Der Wind spielte mit den alten Brettläden, der Mond
kuckte mitunter neugierig herein, und der Hund, welcher
im nächsten Hofe zuweilen rasselte oder bellte, gehörte in

Einleitung.
weis vor die Thuͤr oben gelegt? — Ja! — Das ſind
ihre Reitpferde in der Walpurgisnacht, und in der
Nacht haben wir auch mein Lebtag nicht gebraut. Das
kann ich ihr nicht wehren; aber ſie iſt auch nicht im
Stande, in der uͤbrigen Jahreszeit uͤber die Beſen hin-
wegzuſteigen, denn ſie ſind halt fuͤr ſie ſo groß wie Reit-
pferde. Und der Brauer nimmt ſie auch nicht weg,
nicht oben, nicht unten, denn er weiß gar gut, daß das
Bier nur geraͤth, wenn die boͤſen Geiſter in’s Brauhaus
ſelbſt nicht herein ſchluͤpfen duͤrfen. Zum Malz braucht
er ſie, das Bier verderben ſie —

Dieſen Dualismus entwickelte nun das Muͤtterchen
in allerlei grauslichen Geſchichten, welche ich hier nicht
auftiſchen will. Ploͤtzlich ſchlief ſie ein, ohne Kopf oder
Schulter irgendwo anzulehnen. Sie war ſo kurz zuſam-
mengebaut, daß ſie keinerlei Stuͤtze beim Schlafen zu
brauchen ſchien; ich habe nie geſehen, daß ſie ſich nieder-
gelegt und daß ſie anders als kerzengerad ſitzend, die kurzen
Haͤnde im Schooß gefaltet, geſchlafen haͤtte. Von dieſem
Momente des Einſchlafens begann meine Noth. Voll
ſolcher Geſchichten und verworrener Anſchauungen fuͤrch-
tete ich mich nun, wenn dies das richtige Wort iſt, in dem
hohen wuͤſten Raume, deſſen hoch oben angebrachte Fen-
ſter ſaͤmmtlich offen und uͤberhaupt nur Loͤcher waren.
Der Wind ſpielte mit den alten Brettlaͤden, der Mond
kuckte mitunter neugierig herein, und der Hund, welcher
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[15/0021] Einleitung. weis vor die Thuͤr oben gelegt? — Ja! — Das ſind ihre Reitpferde in der Walpurgisnacht, und in der Nacht haben wir auch mein Lebtag nicht gebraut. Das kann ich ihr nicht wehren; aber ſie iſt auch nicht im Stande, in der uͤbrigen Jahreszeit uͤber die Beſen hin- wegzuſteigen, denn ſie ſind halt fuͤr ſie ſo groß wie Reit- pferde. Und der Brauer nimmt ſie auch nicht weg, nicht oben, nicht unten, denn er weiß gar gut, daß das Bier nur geraͤth, wenn die boͤſen Geiſter in’s Brauhaus ſelbſt nicht herein ſchluͤpfen duͤrfen. Zum Malz braucht er ſie, das Bier verderben ſie — Dieſen Dualismus entwickelte nun das Muͤtterchen in allerlei grauslichen Geſchichten, welche ich hier nicht auftiſchen will. Ploͤtzlich ſchlief ſie ein, ohne Kopf oder Schulter irgendwo anzulehnen. Sie war ſo kurz zuſam- mengebaut, daß ſie keinerlei Stuͤtze beim Schlafen zu brauchen ſchien; ich habe nie geſehen, daß ſie ſich nieder- gelegt und daß ſie anders als kerzengerad ſitzend, die kurzen Haͤnde im Schooß gefaltet, geſchlafen haͤtte. Von dieſem Momente des Einſchlafens begann meine Noth. Voll ſolcher Geſchichten und verworrener Anſchauungen fuͤrch- tete ich mich nun, wenn dies das richtige Wort iſt, in dem hohen wuͤſten Raume, deſſen hoch oben angebrachte Fen- ſter ſaͤmmtlich offen und uͤberhaupt nur Loͤcher waren. Der Wind ſpielte mit den alten Brettlaͤden, der Mond kuckte mitunter neugierig herein, und der Hund, welcher im naͤchſten Hofe zuweilen raſſelte oder bellte, gehoͤrte in

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/21>, abgerufen am 29.03.2024.