Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Abende warm verschickt wurden. Gegen zehn Uhr Abends
erst ward es ganz still; Mutter Schönknechten war fer-
tig und setzte sich zu mir auf die hölzerne Bank und starrte
lange Zeit schweigend in den verglimmenden Brand unter
dem Kessel. Der Schweiß troff ihr von der Stirn und
sie trocknete sich ihn mit einer Schürze von grober Sack-
leinwand, welche gar nicht weich genug war, um alle
Schweißtropfen in den Runzeln des Gesichtes aufzusuchen.
Uebrigens war es kalt in dem finstern, hohen und weiten
Brauhause, und ich mußte öfters an's Ofenloch flüchten,
um mich zu erwärmen. Mutter Schönknechten sah das
ganz gern, und sagte zuweilen: junges männliches Blut
bringe der Bierwürze guten Geschmack, ich sollte mich nur
wärmen und in die Wärme hineinathmen. Dies war
die Zeit, in welcher sie anfing Geschichten zu erzählen,
Hexen- und Gespenstergeschichten. Mit Gespensterge-
schichten machte sie keine großen Umstände, die alte Frau
schien sich gar nicht zu fürchten und tischte mir den ärg-
sten Spuk auf so gleichgültig, als ob sie mir ein Butter-
brot reichte. Kam sie aber an eine Hexengeschichte, so
mußte ich immer erst aus dem Loche hinaufsteigen und
an die Thür gehen, welche unten in's Malzhaus hinein
führte. Diese Thür sollte ich öffnen, um mich zu ver-
sichern, daß Niemand von der Brauersfamilie an den
Malzhaufen beschäftigt sei. Jch hatte nicht immer den
Muth zum Oeffnen, denn von Gespenster-Eindrücken voll
war es mir gar zu schauerlich, in einen so weiten, unab-

Einleitung.
Abende warm verſchickt wurden. Gegen zehn Uhr Abends
erſt ward es ganz ſtill; Mutter Schoͤnknechten war fer-
tig und ſetzte ſich zu mir auf die hoͤlzerne Bank und ſtarrte
lange Zeit ſchweigend in den verglimmenden Brand unter
dem Keſſel. Der Schweiß troff ihr von der Stirn und
ſie trocknete ſich ihn mit einer Schuͤrze von grober Sack-
leinwand, welche gar nicht weich genug war, um alle
Schweißtropfen in den Runzeln des Geſichtes aufzuſuchen.
Uebrigens war es kalt in dem finſtern, hohen und weiten
Brauhauſe, und ich mußte oͤfters an’s Ofenloch fluͤchten,
um mich zu erwaͤrmen. Mutter Schoͤnknechten ſah das
ganz gern, und ſagte zuweilen: junges maͤnnliches Blut
bringe der Bierwuͤrze guten Geſchmack, ich ſollte mich nur
waͤrmen und in die Waͤrme hineinathmen. Dies war
die Zeit, in welcher ſie anfing Geſchichten zu erzaͤhlen,
Hexen- und Geſpenſtergeſchichten. Mit Geſpenſterge-
ſchichten machte ſie keine großen Umſtaͤnde, die alte Frau
ſchien ſich gar nicht zu fuͤrchten und tiſchte mir den aͤrg-
ſten Spuk auf ſo gleichguͤltig, als ob ſie mir ein Butter-
brot reichte. Kam ſie aber an eine Hexengeſchichte, ſo
mußte ich immer erſt aus dem Loche hinaufſteigen und
an die Thuͤr gehen, welche unten in’s Malzhaus hinein
fuͤhrte. Dieſe Thuͤr ſollte ich oͤffnen, um mich zu ver-
ſichern, daß Niemand von der Brauersfamilie an den
Malzhaufen beſchaͤftigt ſei. Jch hatte nicht immer den
Muth zum Oeffnen, denn von Geſpenſter-Eindruͤcken voll
war es mir gar zu ſchauerlich, in einen ſo weiten, unab-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
Abende warm ver&#x017F;chickt wurden. Gegen zehn Uhr Abends<lb/>
er&#x017F;t ward es ganz &#x017F;till; Mutter Scho&#x0364;nknechten war fer-<lb/>
tig und &#x017F;etzte &#x017F;ich zu mir auf die ho&#x0364;lzerne Bank und &#x017F;tarrte<lb/>
lange Zeit &#x017F;chweigend in den verglimmenden Brand unter<lb/>
dem Ke&#x017F;&#x017F;el. Der Schweiß troff ihr von der Stirn und<lb/>
&#x017F;ie trocknete &#x017F;ich ihn mit einer Schu&#x0364;rze von grober Sack-<lb/>
leinwand, welche gar nicht weich genug war, um alle<lb/>
Schweißtropfen in den Runzeln des Ge&#x017F;ichtes aufzu&#x017F;uchen.<lb/>
Uebrigens war es kalt in dem fin&#x017F;tern, hohen und weiten<lb/>
Brauhau&#x017F;e, und ich mußte o&#x0364;fters an&#x2019;s Ofenloch flu&#x0364;chten,<lb/>
um mich zu erwa&#x0364;rmen. Mutter Scho&#x0364;nknechten &#x017F;ah das<lb/>
ganz gern, und &#x017F;agte zuweilen: junges ma&#x0364;nnliches Blut<lb/>
bringe der Bierwu&#x0364;rze guten Ge&#x017F;chmack, ich &#x017F;ollte mich nur<lb/>
wa&#x0364;rmen und in die Wa&#x0364;rme hineinathmen. Dies war<lb/>
die Zeit, in welcher &#x017F;ie anfing Ge&#x017F;chichten zu erza&#x0364;hlen,<lb/>
Hexen- und Ge&#x017F;pen&#x017F;terge&#x017F;chichten. Mit Ge&#x017F;pen&#x017F;terge-<lb/>
&#x017F;chichten machte &#x017F;ie keine großen Um&#x017F;ta&#x0364;nde, die alte Frau<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ich gar nicht zu fu&#x0364;rchten und ti&#x017F;chte mir den a&#x0364;rg-<lb/>
&#x017F;ten Spuk auf &#x017F;o gleichgu&#x0364;ltig, als ob &#x017F;ie mir ein Butter-<lb/>
brot reichte. Kam &#x017F;ie aber an eine Hexenge&#x017F;chichte, &#x017F;o<lb/>
mußte ich immer er&#x017F;t aus dem Loche hinauf&#x017F;teigen und<lb/>
an die Thu&#x0364;r gehen, welche unten in&#x2019;s Malzhaus hinein<lb/>
fu&#x0364;hrte. Die&#x017F;e Thu&#x0364;r &#x017F;ollte ich o&#x0364;ffnen, um mich zu ver-<lb/>
&#x017F;ichern, daß Niemand von der Brauersfamilie an den<lb/>
Malzhaufen be&#x017F;cha&#x0364;ftigt &#x017F;ei. Jch hatte nicht immer den<lb/>
Muth zum Oeffnen, denn von Ge&#x017F;pen&#x017F;ter-Eindru&#x0364;cken voll<lb/>
war es mir gar zu &#x017F;chauerlich, in einen &#x017F;o weiten, unab-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] Einleitung. Abende warm verſchickt wurden. Gegen zehn Uhr Abends erſt ward es ganz ſtill; Mutter Schoͤnknechten war fer- tig und ſetzte ſich zu mir auf die hoͤlzerne Bank und ſtarrte lange Zeit ſchweigend in den verglimmenden Brand unter dem Keſſel. Der Schweiß troff ihr von der Stirn und ſie trocknete ſich ihn mit einer Schuͤrze von grober Sack- leinwand, welche gar nicht weich genug war, um alle Schweißtropfen in den Runzeln des Geſichtes aufzuſuchen. Uebrigens war es kalt in dem finſtern, hohen und weiten Brauhauſe, und ich mußte oͤfters an’s Ofenloch fluͤchten, um mich zu erwaͤrmen. Mutter Schoͤnknechten ſah das ganz gern, und ſagte zuweilen: junges maͤnnliches Blut bringe der Bierwuͤrze guten Geſchmack, ich ſollte mich nur waͤrmen und in die Waͤrme hineinathmen. Dies war die Zeit, in welcher ſie anfing Geſchichten zu erzaͤhlen, Hexen- und Geſpenſtergeſchichten. Mit Geſpenſterge- ſchichten machte ſie keine großen Umſtaͤnde, die alte Frau ſchien ſich gar nicht zu fuͤrchten und tiſchte mir den aͤrg- ſten Spuk auf ſo gleichguͤltig, als ob ſie mir ein Butter- brot reichte. Kam ſie aber an eine Hexengeſchichte, ſo mußte ich immer erſt aus dem Loche hinaufſteigen und an die Thuͤr gehen, welche unten in’s Malzhaus hinein fuͤhrte. Dieſe Thuͤr ſollte ich oͤffnen, um mich zu ver- ſichern, daß Niemand von der Brauersfamilie an den Malzhaufen beſchaͤftigt ſei. Jch hatte nicht immer den Muth zum Oeffnen, denn von Geſpenſter-Eindruͤcken voll war es mir gar zu ſchauerlich, in einen ſo weiten, unab-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/19
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Die Bernsteinhexe. Leipzig, 1846, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_bernsteinhexe_1846/19>, abgerufen am 21.11.2024.