Anacharsis hatte eine Abneigung gegen Faustkämpfe und gegen das mit Seekrankheit verbundene Befahren des Meeres, worin ich mich ihm völlig verwandt fühle. Außerdem schrieb er ein Gedicht von 800 Versen, welches sich mit den erwähnten griechischen Gewohn- heiten satirisch beschäftigte und über die Folgen des Weingenusses philosophierte. Daß dasselbe nicht länger war, ist allerdings ein mir fremder Zug, erklärt sich aber aus den damals bedeutend höheren Papierpreisen; im übrigen scheint mir die anacharsische Abstammung dadurch auch charakterologisch zweifellos erwiesen; das Gedicht war jedenfalls eine Art Bierzeitung.
Jch könnte somit meine Selbstbiographie mit einer Besprechung der Küsten des Schwarzen Meeres und jener vorphilosophischen Zeit beginnen, welche durch die Namen der griechischen Weisen bezeichnet ist. Aber was würde dies nützen? Die Gründlichkeit verlangte, auf den Ursprung der Skythen zurückzugehen, die eigenen Vorfahren vor der Trennung der ersten Urvölker auf- zusuchen und endlich jene Familie der Säugetiere zu ent- decken, welche zu meinen speziellen Stammesgenossen durch Auslese und Zuchtwahl sich zu entwickeln die Ehre hatte.
Und noch weiter! Sollte man nicht bestrebt und imstande sein, nicht bloß Gattungsmerkmale, sondern auch spezifisch individuelle Eigentümlichkeiten bereits im Häckelschen Stammbaum des Menschengeschlechts aufzu- suchen? Ja es ist kein Zweifel, daß die Selbst- biographie nach historischer Methode mit einer Unter- suchung über den Ursprung der Organismen
Selbſtbiographiſche Studien.
Anacharſis hatte eine Abneigung gegen Fauſtkämpfe und gegen das mit Seekrankheit verbundene Befahren des Meeres, worin ich mich ihm völlig verwandt fühle. Außerdem ſchrieb er ein Gedicht von 800 Verſen, welches ſich mit den erwähnten griechiſchen Gewohn- heiten ſatiriſch beſchäftigte und über die Folgen des Weingenuſſes philoſophierte. Daß dasſelbe nicht länger war, iſt allerdings ein mir fremder Zug, erklärt ſich aber aus den damals bedeutend höheren Papierpreiſen; im übrigen ſcheint mir die anacharſiſche Abſtammung dadurch auch charakterologiſch zweifellos erwieſen; das Gedicht war jedenfalls eine Art Bierzeitung.
Jch könnte ſomit meine Selbſtbiographie mit einer Beſprechung der Küſten des Schwarzen Meeres und jener vorphiloſophiſchen Zeit beginnen, welche durch die Namen der griechiſchen Weiſen bezeichnet iſt. Aber was würde dies nützen? Die Gründlichkeit verlangte, auf den Urſprung der Skythen zurückzugehen, die eigenen Vorfahren vor der Trennung der erſten Urvölker auf- zuſuchen und endlich jene Familie der Säugetiere zu ent- decken, welche zu meinen ſpeziellen Stammesgenoſſen durch Ausleſe und Zuchtwahl ſich zu entwickeln die Ehre hatte.
Und noch weiter! Sollte man nicht beſtrebt und imſtande ſein, nicht bloß Gattungsmerkmale, ſondern auch ſpezifiſch individuelle Eigentümlichkeiten bereits im Häckelſchen Stammbaum des Menſchengeſchlechts aufzu- ſuchen? Ja es iſt kein Zweifel, daß die Selbſt- biographie nach hiſtoriſcher Methode mit einer Unter- ſuchung über den Urſprung der Organismen
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Selbſtbiographiſche Studien.
Anacharſis hatte eine Abneigung gegen Fauſtkämpfe
und gegen das mit Seekrankheit verbundene Befahren
des Meeres, worin ich mich ihm völlig verwandt fühle.
Außerdem ſchrieb er ein Gedicht von 800 Verſen,
welches ſich mit den erwähnten griechiſchen Gewohn-
heiten ſatiriſch beſchäftigte und über die Folgen des
Weingenuſſes philoſophierte. Daß dasſelbe nicht länger
war, iſt allerdings ein mir fremder Zug, erklärt ſich
aber aus den damals bedeutend höheren Papierpreiſen;
im übrigen ſcheint mir die anacharſiſche Abſtammung
dadurch auch charakterologiſch zweifellos erwieſen; das
Gedicht war jedenfalls eine Art Bierzeitung.
Jch könnte ſomit meine Selbſtbiographie mit einer
Beſprechung der Küſten des Schwarzen Meeres und
jener vorphiloſophiſchen Zeit beginnen, welche durch die
Namen der griechiſchen Weiſen bezeichnet iſt. Aber was
würde dies nützen? Die Gründlichkeit verlangte, auf
den Urſprung der Skythen zurückzugehen, die eigenen
Vorfahren vor der Trennung der erſten Urvölker auf-
zuſuchen und endlich jene Familie der Säugetiere zu ent-
decken, welche zu meinen ſpeziellen Stammesgenoſſen durch
Ausleſe und Zuchtwahl ſich zu entwickeln die Ehre hatte.
Und noch weiter! Sollte man nicht beſtrebt und
imſtande ſein, nicht bloß Gattungsmerkmale, ſondern
auch ſpezifiſch individuelle Eigentümlichkeiten bereits im
Häckelſchen Stammbaum des Menſchengeſchlechts aufzu-
ſuchen? Ja es iſt kein Zweifel, daß die Selbſt-
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/259>, abgerufen am 22.07.2024.
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