Der Parasit Mystozoon Schleiermeier und dessen Parasit Ursula clarior und dessen Parasit, der Punkt- bacillus, waren über die Möglichkeit eines Welt- unterganges noch nicht im Klaren, als Tröpfchen sie aus den Augen verlor. Denn die Frau nahm das Glas, hielt es gegen das Licht und sagte: "Es scheint nur Wasser." Sie roch daran. "Aber es stinkt." Und damit hatte sie es in den Eimer gegossen.
Das waren schlimme Tage für Tröpfchen in dem finstern Kanale und in dem Klärbecken, wo sich der Unrat der ganzen Stadt absetzte. Wo ist nun die Welt? fragte es sich. War es die Spinne? Aber die ist ja zertreten. Und wie ist die Welt entstanden? Dieser Mensch mit den Bacillen war offenbar nicht der Ansicht, daß die Sache gerade so zugegangen sei, wie Tröpfchen in der Schule gelernt hatte. Wer hatte nun Recht? Soviel ist klar, dachte Tröpfchen, die Menschen wissen selbst nichts. Wie sollten sie auch, da sich doch selbst die Spinne geirrt zu haben schien. Was ist der Mensch? Nicht einmal ein Bacillus? Nun, Bakterien gab es hier genug, und Tröpfchen wußte ja jetzt, wie sie aussahen. Vielleicht konnte es von ihnen etwas erfahren. Sie schienen allerdings recht einsilbig.
"Was ist der Mensch?" fragte es die Bacillen.
"Unsere Hoffnung."
"So seid Jhr das Leben?"
"Wir waren es und wir werden es."
"Und was seid Jhr jetzt?"
"Der Tod."
Tröpfchen.
Der Paraſit Mystozoon Schleiermeier und deſſen Paraſit Ursula clarior und deſſen Paraſit, der Punkt- bacillus, waren über die Möglichkeit eines Welt- unterganges noch nicht im Klaren, als Tröpfchen ſie aus den Augen verlor. Denn die Frau nahm das Glas, hielt es gegen das Licht und ſagte: „Es ſcheint nur Waſſer.“ Sie roch daran. „Aber es ſtinkt.“ Und damit hatte ſie es in den Eimer gegoſſen.
Das waren ſchlimme Tage für Tröpfchen in dem finſtern Kanale und in dem Klärbecken, wo ſich der Unrat der ganzen Stadt abſetzte. Wo iſt nun die Welt? fragte es ſich. War es die Spinne? Aber die iſt ja zertreten. Und wie iſt die Welt entſtanden? Dieſer Menſch mit den Bacillen war offenbar nicht der Anſicht, daß die Sache gerade ſo zugegangen ſei, wie Tröpfchen in der Schule gelernt hatte. Wer hatte nun Recht? Soviel iſt klar, dachte Tröpfchen, die Menſchen wiſſen ſelbſt nichts. Wie ſollten ſie auch, da ſich doch ſelbſt die Spinne geirrt zu haben ſchien. Was iſt der Menſch? Nicht einmal ein Bacillus? Nun, Bakterien gab es hier genug, und Tröpfchen wußte ja jetzt, wie ſie ausſahen. Vielleicht konnte es von ihnen etwas erfahren. Sie ſchienen allerdings recht einſilbig.
„Was iſt der Menſch?“ fragte es die Bacillen.
„Unſere Hoffnung.“
„So ſeid Jhr das Leben?“
„Wir waren es und wir werden es.“
„Und was ſeid Jhr jetzt?“
„Der Tod.“
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Tröpfchen.
Der Paraſit Mystozoon Schleiermeier und deſſen
Paraſit Ursula clarior und deſſen Paraſit, der Punkt-
bacillus, waren über die Möglichkeit eines Welt-
unterganges noch nicht im Klaren, als Tröpfchen ſie
aus den Augen verlor. Denn die Frau nahm das
Glas, hielt es gegen das Licht und ſagte: „Es ſcheint
nur Waſſer.“ Sie roch daran. „Aber es ſtinkt.“ Und
damit hatte ſie es in den Eimer gegoſſen.
Das waren ſchlimme Tage für Tröpfchen in dem
finſtern Kanale und in dem Klärbecken, wo ſich der
Unrat der ganzen Stadt abſetzte. Wo iſt nun die
Welt? fragte es ſich. War es die Spinne? Aber die iſt
ja zertreten. Und wie iſt die Welt entſtanden? Dieſer
Menſch mit den Bacillen war offenbar nicht der
Anſicht, daß die Sache gerade ſo zugegangen ſei, wie
Tröpfchen in der Schule gelernt hatte. Wer hatte
nun Recht? Soviel iſt klar, dachte Tröpfchen, die
Menſchen wiſſen ſelbſt nichts. Wie ſollten ſie auch, da
ſich doch ſelbſt die Spinne geirrt zu haben ſchien. Was
iſt der Menſch? Nicht einmal ein Bacillus? Nun,
Bakterien gab es hier genug, und Tröpfchen wußte ja
jetzt, wie ſie ausſahen. Vielleicht konnte es von ihnen
etwas erfahren. Sie ſchienen allerdings recht einſilbig.
„Was iſt der Menſch?“ fragte es die Bacillen.
„Unſere Hoffnung.“
„So ſeid Jhr das Leben?“
„Wir waren es und wir werden es.“
„Und was ſeid Jhr jetzt?“
„Der Tod.“
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/244>, abgerufen am 29.06.2024.
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