Mit Entsetzen sah sich Tröpfchen neben einer kleinen Wasserspinne in ein Glas gesperrt. Bei der eifrigen Beobachtung des Redners, bei der Bemühung ihn zu verstehen, hatte Tröpfchen nicht bemerkt, daß es dem jenseitigen Uferrande zugetrieben war und sich schon dicht an den Blättern einer Wasserpflanze befand. Und nun war es zugleich mit der Spinne gefangen worden. Der Mensch verschloß das Glas und steckte es vorsichtig in seine Tasche.
Es war finster und sehr unheimlich in der Flasche; Tröpfchen wollte vermeiden mit der Spinne in Be- rührung zu kommen. Aber all seine Erlebnisse und be- sonders das letzte Abenteuer bewegten es so lebhaft, daß es gar zu gern eine Frage gethan hätte. Schließlich siegte der Bildungstrieb über den Charakter und es sagte zur Spinne:
"Glauben Sie, daß dies ein Mensch war, der uns in die Tasche gesteckt hat?"
"Was ist das, ein Mensch?" fragte die Spinne.
"Das wissen Sie nicht?" erwiderte Tröpfchen er- staunt. Da kommen Sie bei mir an die richtige Quelle, denn ich bin auf einer Studienreise über den Menschen begriffen und habe ihn kennen gelernt. Er ist ein mächtiges Geschöpf, er verehrt uns, denn wir sind die Natur, er weiß auch, wie die Welt ge- schaffen ist --"
"Welt?" sagte die Spinne. "Kenne ich auch nicht. Jst das auch eine Spinne?"
"Das ist Wasser und Luft, Erde und Licht zusam-
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Tröpfchen.
Mit Entſetzen ſah ſich Tröpfchen neben einer kleinen Waſſerſpinne in ein Glas geſperrt. Bei der eifrigen Beobachtung des Redners, bei der Bemühung ihn zu verſtehen, hatte Tröpfchen nicht bemerkt, daß es dem jenſeitigen Uferrande zugetrieben war und ſich ſchon dicht an den Blättern einer Waſſerpflanze befand. Und nun war es zugleich mit der Spinne gefangen worden. Der Menſch verſchloß das Glas und ſteckte es vorſichtig in ſeine Taſche.
Es war finſter und ſehr unheimlich in der Flaſche; Tröpfchen wollte vermeiden mit der Spinne in Be- rührung zu kommen. Aber all ſeine Erlebniſſe und be- ſonders das letzte Abenteuer bewegten es ſo lebhaft, daß es gar zu gern eine Frage gethan hätte. Schließlich ſiegte der Bildungstrieb über den Charakter und es ſagte zur Spinne:
„Glauben Sie, daß dies ein Menſch war, der uns in die Taſche geſteckt hat?“
„Was iſt das, ein Menſch?“ fragte die Spinne.
„Das wiſſen Sie nicht?“ erwiderte Tröpfchen er- ſtaunt. Da kommen Sie bei mir an die richtige Quelle, denn ich bin auf einer Studienreiſe über den Menſchen begriffen und habe ihn kennen gelernt. Er iſt ein mächtiges Geſchöpf, er verehrt uns, denn wir ſind die Natur, er weiß auch, wie die Welt ge- ſchaffen iſt —“
„Welt?“ ſagte die Spinne. „Kenne ich auch nicht. Jſt das auch eine Spinne?“
„Das iſt Waſſer und Luft, Erde und Licht zuſam-
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Tröpfchen.
Mit Entſetzen ſah ſich Tröpfchen neben einer kleinen
Waſſerſpinne in ein Glas geſperrt. Bei der eifrigen
Beobachtung des Redners, bei der Bemühung ihn zu
verſtehen, hatte Tröpfchen nicht bemerkt, daß es dem
jenſeitigen Uferrande zugetrieben war und ſich ſchon dicht
an den Blättern einer Waſſerpflanze befand. Und nun
war es zugleich mit der Spinne gefangen worden.
Der Menſch verſchloß das Glas und ſteckte es vorſichtig
in ſeine Taſche.
Es war finſter und ſehr unheimlich in der Flaſche;
Tröpfchen wollte vermeiden mit der Spinne in Be-
rührung zu kommen. Aber all ſeine Erlebniſſe und be-
ſonders das letzte Abenteuer bewegten es ſo lebhaft, daß
es gar zu gern eine Frage gethan hätte. Schließlich
ſiegte der Bildungstrieb über den Charakter und es
ſagte zur Spinne:
„Glauben Sie, daß dies ein Menſch war, der uns
in die Taſche geſteckt hat?“
„Was iſt das, ein Menſch?“ fragte die Spinne.
„Das wiſſen Sie nicht?“ erwiderte Tröpfchen er-
ſtaunt. Da kommen Sie bei mir an die richtige
Quelle, denn ich bin auf einer Studienreiſe über
den Menſchen begriffen und habe ihn kennen gelernt.
Er iſt ein mächtiges Geſchöpf, er verehrt uns, denn
wir ſind die Natur, er weiß auch, wie die Welt ge-
ſchaffen iſt —“
„Welt?“ ſagte die Spinne. „Kenne ich auch nicht.
Jſt das auch eine Spinne?“
„Das iſt Waſſer und Luft, Erde und Licht zuſam-
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/233>, abgerufen am 26.06.2024.
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