der höchsten Billigung bei den Menschen ist, wie aber ist es erklärlich, daß sie dies bei dem Menschen that, den sie eben so schlecht behandelt hatte? Dabei rannen Tropfen aus ihren Augen. Jetzt begann sie selbst zu schreiben. Auch ihre Zeilen hatte ich Zeit genau zu studieren.
Lieber teurer Freund!
Freuen Sie sich nicht, daß Sie einen Brief von mir erhalten, er wird Jhnen eine Enttäuschung bringen, aber es muß sein. Es ist mir klar geworden, ich kann das Leben nicht mehr ertragen, das ich führe, es ist ein Leben der Lüge. Jch betrüge meine Eltern, ich betrüge die Jhrigen, und so lebe ich in einer ewigen Furcht vor Entdeckung. Schon ist meine Mutter mißtrauisch geworden, ich habe Sie deswegen gemieden -- so schwer es mir wurde. Es muß noch Schwereres geschehen, ich darf Sie nicht wiedersehen. Jch weiß keinen andern Weg. Eine Entdeckung wäre mir entsetzlich, und wir würden dann unter Schimpf und Schande getrennt. Das wird Jhre Liebe nicht mir zumuten wollen. Darum trennen wir uns freiwillig. Denn der andere Weg, daß wir den Unsern unsere Liebe bekennen, daß wir alles auf uns nehmen und der Welt um unserer Liebe willen trotzen, der ist uns verschlossen. Nie wird mein Stolz gestatten, daß Sie um meinetwillen die glänzende Laufbahn aufgeben, zu der Sie bestimmt sind, daß Sie die Pflichten versäumen, welche Sie dem Leben schulden, daß Sie alle Schranken durchbrechen, um im Kampfe
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
der höchſten Billigung bei den Menſchen iſt, wie aber iſt es erklärlich, daß ſie dies bei dem Menſchen that, den ſie eben ſo ſchlecht behandelt hatte? Dabei rannen Tropfen aus ihren Augen. Jetzt begann ſie ſelbſt zu ſchreiben. Auch ihre Zeilen hatte ich Zeit genau zu ſtudieren.
Lieber teurer Freund!
Freuen Sie ſich nicht, daß Sie einen Brief von mir erhalten, er wird Jhnen eine Enttäuſchung bringen, aber es muß ſein. Es iſt mir klar geworden, ich kann das Leben nicht mehr ertragen, das ich führe, es iſt ein Leben der Lüge. Jch betrüge meine Eltern, ich betrüge die Jhrigen, und ſo lebe ich in einer ewigen Furcht vor Entdeckung. Schon iſt meine Mutter mißtrauiſch geworden, ich habe Sie deswegen gemieden — ſo ſchwer es mir wurde. Es muß noch Schwereres geſchehen, ich darf Sie nicht wiederſehen. Jch weiß keinen andern Weg. Eine Entdeckung wäre mir entſetzlich, und wir würden dann unter Schimpf und Schande getrennt. Das wird Jhre Liebe nicht mir zumuten wollen. Darum trennen wir uns freiwillig. Denn der andere Weg, daß wir den Unſern unſere Liebe bekennen, daß wir alles auf uns nehmen und der Welt um unſerer Liebe willen trotzen, der iſt uns verſchloſſen. Nie wird mein Stolz geſtatten, daß Sie um meinetwillen die glänzende Laufbahn aufgeben, zu der Sie beſtimmt ſind, daß Sie die Pflichten verſäumen, welche Sie dem Leben ſchulden, daß Sie alle Schranken durchbrechen, um im Kampfe
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[104/0110]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
der höchſten Billigung bei den Menſchen iſt, wie aber
iſt es erklärlich, daß ſie dies bei dem Menſchen that,
den ſie eben ſo ſchlecht behandelt hatte? Dabei rannen
Tropfen aus ihren Augen. Jetzt begann ſie ſelbſt zu
ſchreiben. Auch ihre Zeilen hatte ich Zeit genau zu
ſtudieren.
Lieber teurer Freund!
Freuen Sie ſich nicht, daß Sie einen Brief von mir
erhalten, er wird Jhnen eine Enttäuſchung bringen,
aber es muß ſein. Es iſt mir klar geworden, ich kann
das Leben nicht mehr ertragen, das ich führe, es iſt ein
Leben der Lüge. Jch betrüge meine Eltern, ich betrüge
die Jhrigen, und ſo lebe ich in einer ewigen Furcht
vor Entdeckung. Schon iſt meine Mutter mißtrauiſch
geworden, ich habe Sie deswegen gemieden — ſo ſchwer
es mir wurde. Es muß noch Schwereres geſchehen, ich
darf Sie nicht wiederſehen. Jch weiß keinen andern
Weg. Eine Entdeckung wäre mir entſetzlich, und wir
würden dann unter Schimpf und Schande getrennt. Das
wird Jhre Liebe nicht mir zumuten wollen. Darum
trennen wir uns freiwillig. Denn der andere Weg,
daß wir den Unſern unſere Liebe bekennen, daß wir
alles auf uns nehmen und der Welt um unſerer Liebe
willen trotzen, der iſt uns verſchloſſen. Nie wird mein
Stolz geſtatten, daß Sie um meinetwillen die glänzende
Laufbahn aufgeben, zu der Sie beſtimmt ſind, daß Sie
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/110>, abgerufen am 22.07.2024.
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