Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. Art zu sein wie die neulich gefundene Haarlocke. MitHilfe des Schalltasters hoffte ich ihr Gespräch zu ver- stehen, aber ich konnte nur so viel wahrnehmen, daß sie mehrmals sagte: "Nein, nein -- wir dürfen uns nicht wiedersehen." Der Mensch ging darauf sehr betrübt fort, gab ihr aber vorher ein Papier, das sie in die Haut steckte, oder vielmehr, wie wir jetzt wissen, in die künstliche Haut, welche die Menschen über die Naturhaut ziehen. Als er fort war, fielen einige Tropfen aus ihren Augen, wobei ich in größte Lebensgefahr geriet, weil sie sich über Gesicht und Haar strich. Dann setzte sie sich unter einen Baum und hielt das Papier vor ihre Augen. Endlich ließ sie es in den Schoß sinken und saß lange unbeweglich davor. Nun zwackte ich sie in den Hals. Sie sprang auf, das Papier fiel herab, und der Wind trug es in ein Gebüsch, wo sie es nicht wieder erreichen konnte. Die Arbeiter, welche schon Verstärkung geholt hatten, waren bei der Hand und 200 Mann schleppten das Papier in den Bau. Wir mußten das Menschenmuseum erweitern. Auf dem Papier stand ein Gedicht, das wir mit Hilfe einiger von der Expedition zurückgekehrten Gelehrten übersetzten. Es lautet: Eine Herrin hab' ich mir erkoren, Lieb' und Lieder sind ihr zugeschworen! Jhres Auges Winke sind Befehle Und ihr Lächeln Sonnentrost der Seele. Worte, die von ihren Lippen schweben, Müssen weiter mir im Herzen leben. Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Art zu ſein wie die neulich gefundene Haarlocke. MitHilfe des Schalltaſters hoffte ich ihr Geſpräch zu ver- ſtehen, aber ich konnte nur ſo viel wahrnehmen, daß ſie mehrmals ſagte: „Nein, nein — wir dürfen uns nicht wiederſehen.“ Der Menſch ging darauf ſehr betrübt fort, gab ihr aber vorher ein Papier, das ſie in die Haut ſteckte, oder vielmehr, wie wir jetzt wiſſen, in die künſtliche Haut, welche die Menſchen über die Naturhaut ziehen. Als er fort war, fielen einige Tropfen aus ihren Augen, wobei ich in größte Lebensgefahr geriet, weil ſie ſich über Geſicht und Haar ſtrich. Dann ſetzte ſie ſich unter einen Baum und hielt das Papier vor ihre Augen. Endlich ließ ſie es in den Schoß ſinken und ſaß lange unbeweglich davor. Nun zwackte ich ſie in den Hals. Sie ſprang auf, das Papier fiel herab, und der Wind trug es in ein Gebüſch, wo ſie es nicht wieder erreichen konnte. Die Arbeiter, welche ſchon Verſtärkung geholt hatten, waren bei der Hand und 200 Mann ſchleppten das Papier in den Bau. Wir mußten das Menſchenmuſeum erweitern. Auf dem Papier ſtand ein Gedicht, das wir mit Hilfe einiger von der Expedition zurückgekehrten Gelehrten überſetzten. Es lautet: Eine Herrin hab’ ich mir erkoren, Lieb’ und Lieder ſind ihr zugeſchworen! Jhres Auges Winke ſind Befehle Und ihr Lächeln Sonnentroſt der Seele. Worte, die von ihren Lippen ſchweben, Müſſen weiter mir im Herzen leben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0100" n="94"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi></fw><lb/> Art zu ſein wie die neulich gefundene Haarlocke. Mit<lb/> Hilfe des Schalltaſters hoffte ich ihr Geſpräch zu ver-<lb/> ſtehen, aber ich konnte nur ſo viel wahrnehmen, daß ſie<lb/> mehrmals ſagte: „Nein, nein — wir dürfen uns nicht<lb/> wiederſehen.“ Der Menſch ging darauf ſehr betrübt<lb/> fort, gab ihr aber vorher ein Papier, das ſie in die<lb/> Haut ſteckte, oder vielmehr, wie wir jetzt wiſſen, in die<lb/> künſtliche Haut, welche die Menſchen über die Naturhaut<lb/> ziehen. Als er fort war, fielen einige Tropfen aus<lb/> ihren Augen, wobei ich in größte Lebensgefahr geriet,<lb/> weil ſie ſich über Geſicht und Haar ſtrich. Dann<lb/> ſetzte ſie ſich unter einen Baum und hielt das Papier<lb/> vor ihre Augen. Endlich ließ ſie es in den Schoß<lb/> ſinken und ſaß lange unbeweglich davor. Nun zwackte<lb/> ich ſie in den Hals. Sie ſprang auf, das Papier fiel<lb/> herab, und der Wind trug es in ein Gebüſch, wo ſie es<lb/> nicht wieder erreichen konnte. Die Arbeiter, welche ſchon<lb/> Verſtärkung geholt hatten, waren bei der Hand und<lb/> 200 Mann ſchleppten das Papier in den Bau. Wir<lb/> mußten das Menſchenmuſeum erweitern. Auf dem Papier<lb/> ſtand ein Gedicht, das wir mit Hilfe einiger von der<lb/> Expedition zurückgekehrten Gelehrten überſetzten. Es<lb/> lautet:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Eine Herrin hab’ ich mir erkoren,</l><lb/> <l>Lieb’ und Lieder ſind ihr zugeſchworen!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Jhres Auges Winke ſind Befehle</l><lb/> <l>Und ihr Lächeln Sonnentroſt der Seele.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Worte, die von ihren Lippen ſchweben,</l><lb/> <l>Müſſen weiter mir im Herzen leben.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0100]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Art zu ſein wie die neulich gefundene Haarlocke. Mit
Hilfe des Schalltaſters hoffte ich ihr Geſpräch zu ver-
ſtehen, aber ich konnte nur ſo viel wahrnehmen, daß ſie
mehrmals ſagte: „Nein, nein — wir dürfen uns nicht
wiederſehen.“ Der Menſch ging darauf ſehr betrübt
fort, gab ihr aber vorher ein Papier, das ſie in die
Haut ſteckte, oder vielmehr, wie wir jetzt wiſſen, in die
künſtliche Haut, welche die Menſchen über die Naturhaut
ziehen. Als er fort war, fielen einige Tropfen aus
ihren Augen, wobei ich in größte Lebensgefahr geriet,
weil ſie ſich über Geſicht und Haar ſtrich. Dann
ſetzte ſie ſich unter einen Baum und hielt das Papier
vor ihre Augen. Endlich ließ ſie es in den Schoß
ſinken und ſaß lange unbeweglich davor. Nun zwackte
ich ſie in den Hals. Sie ſprang auf, das Papier fiel
herab, und der Wind trug es in ein Gebüſch, wo ſie es
nicht wieder erreichen konnte. Die Arbeiter, welche ſchon
Verſtärkung geholt hatten, waren bei der Hand und
200 Mann ſchleppten das Papier in den Bau. Wir
mußten das Menſchenmuſeum erweitern. Auf dem Papier
ſtand ein Gedicht, das wir mit Hilfe einiger von der
Expedition zurückgekehrten Gelehrten überſetzten. Es
lautet:
Eine Herrin hab’ ich mir erkoren,
Lieb’ und Lieder ſind ihr zugeſchworen!
Jhres Auges Winke ſind Befehle
Und ihr Lächeln Sonnentroſt der Seele.
Worte, die von ihren Lippen ſchweben,
Müſſen weiter mir im Herzen leben.
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