allein. Sie werden auch müde sein. Lesen Sie morgen früh. Reden wir von etwas anderm."
Aber sie redeten nicht. Der Wein blieb unberührt. Das Herz war beiden zu schwer. Einmal sagte Grunthe vor sich hin: "Es ist nicht der Verlust der politischen Macht für unser Vaterland, der mich am meisten schmerzt, so wehe er mir thut. Schließlich müßte es zurückstehen, wenn es bessere Mittel gäbe, die Würde der Menschheit zu verwirklichen. Was mir unmöglich macht, ohne die tiefste Erregung von diesen Dingen zu reden, ist die demütigende Ueberzeugung, daß wir es eigentlich nicht besser verdienen. Haben wir es verstanden, die Würde des Menschen zu wahren? Haben nicht seit mehr als einem Menschenalter alle Berufsklassen ihre politische Macht nur gebraucht, um sich wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der andern zu verschaffen? Haben wir gelernt, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, wenn es die Gerechtigkeit ver- langte? Haben die führenden Kreise sittlichen Ernst gezeigt, wenn es galt, das Gesetz auch ihrer Tradition entgegen durchzuführen? Haben sie ihre Ehre gesucht in der absoluten Achtung des Gesetzes statt in äußer- lichen Formen? Haben wir unsern Gott im Herzen verehrt, statt in Dogmen und konventionellen Kulten? Haben wir das Grundgesetz aller Sittlichkeit gewahrt, daß der Mensch Selbstzweck ist und nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf? O, das ist es ja eben, daß die Nume in allem vollständig Recht haben, was sie lehren und an uns verachten, und daß wir doch als Menschen es nicht von ihnen annehmen dürfen,
Vierundvierzigſtes Kapitel.
allein. Sie werden auch müde ſein. Leſen Sie morgen früh. Reden wir von etwas anderm.‟
Aber ſie redeten nicht. Der Wein blieb unberührt. Das Herz war beiden zu ſchwer. Einmal ſagte Grunthe vor ſich hin: „Es iſt nicht der Verluſt der politiſchen Macht für unſer Vaterland, der mich am meiſten ſchmerzt, ſo wehe er mir thut. Schließlich müßte es zurückſtehen, wenn es beſſere Mittel gäbe, die Würde der Menſchheit zu verwirklichen. Was mir unmöglich macht, ohne die tiefſte Erregung von dieſen Dingen zu reden, iſt die demütigende Ueberzeugung, daß wir es eigentlich nicht beſſer verdienen. Haben wir es verſtanden, die Würde des Menſchen zu wahren? Haben nicht ſeit mehr als einem Menſchenalter alle Berufsklaſſen ihre politiſche Macht nur gebraucht, um ſich wirtſchaftliche Vorteile auf Koſten der andern zu verſchaffen? Haben wir gelernt, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, wenn es die Gerechtigkeit ver- langte? Haben die führenden Kreiſe ſittlichen Ernſt gezeigt, wenn es galt, das Geſetz auch ihrer Tradition entgegen durchzuführen? Haben ſie ihre Ehre geſucht in der abſoluten Achtung des Geſetzes ſtatt in äußer- lichen Formen? Haben wir unſern Gott im Herzen verehrt, ſtatt in Dogmen und konventionellen Kulten? Haben wir das Grundgeſetz aller Sittlichkeit gewahrt, daß der Menſch Selbſtzweck iſt und nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf? O, das iſt es ja eben, daß die Nume in allem vollſtändig Recht haben, was ſie lehren und an uns verachten, und daß wir doch als Menſchen es nicht von ihnen annehmen dürfen,
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Vierundvierzigſtes Kapitel.
allein. Sie werden auch müde ſein. Leſen Sie morgen
früh. Reden wir von etwas anderm.‟
Aber ſie redeten nicht. Der Wein blieb unberührt.
Das Herz war beiden zu ſchwer. Einmal ſagte Grunthe
vor ſich hin: „Es iſt nicht der Verluſt der politiſchen
Macht für unſer Vaterland, der mich am meiſten
ſchmerzt, ſo wehe er mir thut. Schließlich müßte es
zurückſtehen, wenn es beſſere Mittel gäbe, die Würde
der Menſchheit zu verwirklichen. Was mir unmöglich
macht, ohne die tiefſte Erregung von dieſen Dingen
zu reden, iſt die demütigende Ueberzeugung, daß wir
es eigentlich nicht beſſer verdienen. Haben wir es
verſtanden, die Würde des Menſchen zu wahren?
Haben nicht ſeit mehr als einem Menſchenalter alle
Berufsklaſſen ihre politiſche Macht nur gebraucht, um
ſich wirtſchaftliche Vorteile auf Koſten der andern zu
verſchaffen? Haben wir gelernt, auf den eigenen
Vorteil zu verzichten, wenn es die Gerechtigkeit ver-
langte? Haben die führenden Kreiſe ſittlichen Ernſt
gezeigt, wenn es galt, das Geſetz auch ihrer Tradition
entgegen durchzuführen? Haben ſie ihre Ehre geſucht
in der abſoluten Achtung des Geſetzes ſtatt in äußer-
lichen Formen? Haben wir unſern Gott im Herzen
verehrt, ſtatt in Dogmen und konventionellen Kulten?
Haben wir das Grundgeſetz aller Sittlichkeit gewahrt,
daß der Menſch Selbſtzweck iſt und nicht bloß als
Mittel gebraucht werden darf? O, das iſt es ja
eben, daß die Nume in allem vollſtändig Recht haben,
was ſie lehren und an uns verachten, und daß wir
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/282>, abgerufen am 25.11.2024.
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