Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiunddreißigstes Kapitel.
sicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, so daß
ich den Gegner verletze, so beruht mein Fehler darauf,
daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum
sind die Nume soviel milder als die Menschen? Weil
sie schneller denken. Jm Augenblick des Affekts ist das
Bewußtsein des Menschen ganz vom sinnlichen Reize
erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu
durchlaufen, die ihm die Folgen seiner Handlungen
zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann ist
es zu spät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den
Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber sein Gehirn ist
so geübt, daß im Moment der ganze Zusammenhang
der Folgen seines Zustandes ihm ins Bewußtsein tritt
und sein Handeln bestimmt. Das ist es, was man
Besonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten sie die
Griechen für der Tugenden höchste, aber sie wußten
sie nicht zu erringen. Lassen Sie uns den Jrrtum
verringern, und wir werden die Menschen bessern."

"Die Leidenschaften werden Sie nicht ausmerzen."

"Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht
ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen sich
ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und
müssen wir durch den Verstand regulieren. Auch die
Schwächen der Nume -- und die werden Sie nicht
leugnen -- beruhen auf demselben Grunde wie die
der Menschen. Sie sind vom Leben sinnlicher Wesen
untrennbar. Die starken Gefühle sind die großen
Reservoirs der Energie des Gehirns, aus denen sie
zur Wechselwirkung des Lebens herausströmt. Wären
sie nicht mehr da, so hörte das Leben auf, so hörte

Zweiunddreißigſtes Kapitel.
ſicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, ſo daß
ich den Gegner verletze, ſo beruht mein Fehler darauf,
daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum
ſind die Nume ſoviel milder als die Menſchen? Weil
ſie ſchneller denken. Jm Augenblick des Affekts iſt das
Bewußtſein des Menſchen ganz vom ſinnlichen Reize
erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu
durchlaufen, die ihm die Folgen ſeiner Handlungen
zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann iſt
es zu ſpät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den
Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber ſein Gehirn iſt
ſo geübt, daß im Moment der ganze Zuſammenhang
der Folgen ſeines Zuſtandes ihm ins Bewußtſein tritt
und ſein Handeln beſtimmt. Das iſt es, was man
Beſonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten ſie die
Griechen für der Tugenden höchſte, aber ſie wußten
ſie nicht zu erringen. Laſſen Sie uns den Jrrtum
verringern, und wir werden die Menſchen beſſern.‟

„Die Leidenſchaften werden Sie nicht ausmerzen.‟

„Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht
ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen ſich
ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und
müſſen wir durch den Verſtand regulieren. Auch die
Schwächen der Nume — und die werden Sie nicht
leugnen — beruhen auf demſelben Grunde wie die
der Menſchen. Sie ſind vom Leben ſinnlicher Weſen
untrennbar. Die ſtarken Gefühle ſind die großen
Reſervoirs der Energie des Gehirns, aus denen ſie
zur Wechſelwirkung des Lebens herausſtrömt. Wären
ſie nicht mehr da, ſo hörte das Leben auf, ſo hörte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="92"/><fw place="top" type="header">Zweiunddreißig&#x017F;tes Kapitel.</fw><lb/>
&#x017F;icht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, &#x017F;o daß<lb/>
ich den Gegner verletze, &#x017F;o beruht mein Fehler darauf,<lb/>
daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum<lb/>
&#x017F;ind die Nume &#x017F;oviel milder als die Men&#x017F;chen? Weil<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chneller denken. Jm Augenblick des Affekts i&#x017F;t das<lb/>
Bewußt&#x017F;ein des Men&#x017F;chen ganz vom &#x017F;innlichen Reize<lb/>
erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu<lb/>
durchlaufen, die ihm die Folgen &#x017F;einer Handlungen<lb/>
zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann i&#x017F;t<lb/>
es zu &#x017F;pät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den<lb/>
Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber &#x017F;ein Gehirn i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o geübt, daß im Moment der ganze Zu&#x017F;ammenhang<lb/>
der Folgen &#x017F;eines Zu&#x017F;tandes ihm ins Bewußt&#x017F;ein tritt<lb/>
und &#x017F;ein Handeln be&#x017F;timmt. Das i&#x017F;t es, was man<lb/>
Be&#x017F;onnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten &#x017F;ie die<lb/>
Griechen für der Tugenden höch&#x017F;te, aber &#x017F;ie wußten<lb/>
&#x017F;ie nicht zu erringen. La&#x017F;&#x017F;en Sie uns den Jrrtum<lb/>
verringern, und wir werden die Men&#x017F;chen be&#x017F;&#x017F;ern.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Leiden&#x017F;chaften werden Sie nicht ausmerzen.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht<lb/>
ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen &#x017F;ich<lb/>
ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und<lb/>&#x017F;&#x017F;en wir durch den Ver&#x017F;tand regulieren. Auch die<lb/>
Schwächen der Nume &#x2014; und die werden Sie nicht<lb/>
leugnen &#x2014; beruhen auf dem&#x017F;elben Grunde wie die<lb/>
der Men&#x017F;chen. Sie &#x017F;ind vom Leben &#x017F;innlicher We&#x017F;en<lb/>
untrennbar. Die &#x017F;tarken Gefühle &#x017F;ind die großen<lb/>
Re&#x017F;ervoirs der Energie des Gehirns, aus denen &#x017F;ie<lb/>
zur Wech&#x017F;elwirkung des Lebens heraus&#x017F;trömt. Wären<lb/>
&#x017F;ie nicht mehr da, &#x017F;o hörte das Leben auf, &#x017F;o hörte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0100] Zweiunddreißigſtes Kapitel. ſicht reicht. Wenn mich der Zorn übermannt, ſo daß ich den Gegner verletze, ſo beruht mein Fehler darauf, daß ich nicht Zeit zur Ueberlegung hatte. Warum ſind die Nume ſoviel milder als die Menſchen? Weil ſie ſchneller denken. Jm Augenblick des Affekts iſt das Bewußtſein des Menſchen ganz vom ſinnlichen Reize erfüllt, er vermag nicht alle die Gedankenreihen zu durchlaufen, die ihm die Folgen ſeiner Handlungen zeigen; er braucht dazu längere Zeit, und dann iſt es zu ſpät. Der Nume fühlt nicht minder lebhaft den Reiz, vielmehr noch viel feiner; aber ſein Gehirn iſt ſo geübt, daß im Moment der ganze Zuſammenhang der Folgen ſeines Zuſtandes ihm ins Bewußtſein tritt und ſein Handeln beſtimmt. Das iſt es, was man Beſonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten ſie die Griechen für der Tugenden höchſte, aber ſie wußten ſie nicht zu erringen. Laſſen Sie uns den Jrrtum verringern, und wir werden die Menſchen beſſern.‟ „Die Leidenſchaften werden Sie nicht ausmerzen.‟ „Daran denke ich natürlich nicht. Jn ihnen ruht ja der Wert des Lebens, und die Nume freuen ſich ihrer. Nur die Art ihrer Wirkung können wir und müſſen wir durch den Verſtand regulieren. Auch die Schwächen der Nume — und die werden Sie nicht leugnen — beruhen auf demſelben Grunde wie die der Menſchen. Sie ſind vom Leben ſinnlicher Weſen untrennbar. Die ſtarken Gefühle ſind die großen Reſervoirs der Energie des Gehirns, aus denen ſie zur Wechſelwirkung des Lebens herausſtrömt. Wären ſie nicht mehr da, ſo hörte das Leben auf, ſo hörte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/100
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/100>, abgerufen am 24.11.2024.